Ruf nach gesetzlicher Regelung zum Schutz von Informanten und Betroffenen.
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Wien. Die Zeit, als Journalisten mit Plastiksackerln voller belastender Akten aus Behörden hinausmarschiert sind, ist vorbei. Das wünschen sich zumindest Justizministerium und Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Justizministerin Beatrix Karl und die Leiterin der WKStA, Ilse-Maria Vrabl-Sanda, haben am Mittwoch gemeinsam ein neues Werkzeug gegen Korruption vorgestellt: eine eigene Whistleblower-Website. Das System hat laut Karl einen großen Vorteil gegenüber einer anonymen Anzeige: Der Tippgeber kann bei Rückfragen von der Behörde kontaktiert werden, und - je nachdem, wie er möchte - weiterhin anonym bleiben oder aber seine Identität offenbaren.
Wie läuft nun eine Meldung konkret ab? Wer in seiner Behörde oder auch in seinem Unternehmen etwas beobachtet, kann dies über einen Link auf der Homepage des Justizministeriums (www.justiz.gv.at) der WKStA melden. Nach einer Belehrung darüber, wie man am besten seine Anonymität wahren kann - zum Beispiel sollten keine Intranet-Verbindungen von Unternehmen genutzt werden -, muss man den Bereich angeben, in den der Hinweis fällt. Unterteilt wird entlang des Strafgesetzbuchs in Korruption, Wirtschaftsstrafsachen, Sozialbetrug, Finanzstrafsachen, Bilanz- und Kapitalmarktdelikte sowie Geldwäscherei. In kurzen Worten können dann die Vorkommnisse geschildert werden, der Tippgeber kann sich entscheiden, ob er seinen Namen nennen möchte oder nicht. Das System der deutschen Business Keeper AG, das bereits seit 2003 von zig Institutionen weltweit (etwa auch durch die Telekom) genutzt wird, garantiert laut Vorstand Kenan Tur, dass der Tippgeber nicht zurückzuverfolgen ist. Vorsicht ist beim Hochladen von Dokumenten geboten. Denn über die Metadaten, also die Informationen, die unsichtbar im Dokument enthalten sind, kann der Verfasser meist relativ problemlos ausgeforscht werden, die Anonymität geht verloren.
Anonymität nur dann,wenn der Tippgeber es will
Macht der Tippgeber einen solchen "Fehler", dann muss er damit rechnen, dass er zumindest als Zeuge vorgeladen wird, sagte Vrabl-Sanda. Prinzipiell sei es aber nicht das Ziel, Zeugen zu finden, sondern viel eher, Hinweise für Sachbeweise zu bekommen.
Bei der WKStA werden die Hinweise von drei eigens betrauten Oberstaatsanwälten gesichtet - wie bei anonymen Anzeigen sollen sie zunächst die Plausibilität der Anschuldigen prüfen und "Vernaderungen" ausschließen. Wie viele Hinweise man sich genau erwartet, konnte niemand genau sagen. In Niedersachsen - das deutsche Bundesland war das Vorbild für die Implementierung in Österreich - würden aber rund 20 bis 30 sachdienliche Hinweise pro Monat eingehen.
Der ehemalige Rechnungshof-Präsident Franz Fiedler von Transparency International glaubt nicht, dass nun mit einem Schlag zahlreiche Korruptionsfälle durch Whistleblower aufgedeckt werden. Allerdings sei die Einrichtung der Website ein Schritt in die richtige Richtung.
Korruptionsfälle bleibenzu 90 Prozent unerkannt
Die Dunkelziffer bei Korruption ist laut Fiedler mit 90 Prozent enorm hoch. Von der Homepage erwartet er sich zwei Effekte: Einerseits werde die Zahl der Anzeigen dadurch steigen, andererseits geht er von einer großen präventiven Wirkung aus: "Potenzielle Korruptionisten werden durch diese Möglichkeit abgeschreckt", sagte er zur "Wiener Zeitung".
Laut Justizministerium bedarf es keiner speziellen gesetzlichen Whistleblower-Regelung, Fiedler sieht das anders. Denn der Schutz von Informanten vor allem im privaten Sektor müsse gewährleistet werden, sagt er. So würden viele Unternehmen ihre Mitarbeiter zwar dazu aufrufen, korruptionsverdächtige Vorgänge zu melden. Allerdings würde die Identität der Tippgeber oft bekannt - woraufhin diese mit Repressionen am Arbeitsplatz bis hin zur Kündigung rechnen müssten. Zuletzt wurde zwar im Beamtendienstrecht der Satz aufgenommen, dass den Betreffenden keine Nachteile erwachsen dürfen, auch dieser Passus ist laut Fiedler aber nicht ausreichend.
Ins gleiche Horn bläst auch der SPÖ-Abgeordnete und Vorsitzende des Datenschutzrates, Johann Maier. Er fordert nicht nur einen umfassenden Schutz von Tippgebern und deren Familien, sondern auch gesetzliche Schutzmaßnahmen für die Betroffenen von derartigen Hinweisen. Denn "Vernaderungen" beziehungsweise Anschwärzungen aus Rache - diese betreffen rund zwei Prozent der Fälle - hätten schon in der Vergangenheit berufliche Existenzen zerstört, gibt Maier zu bedenken. Whistleblower-Tools wie die am Mittwoch vorgestellte Website müssten auch von der Datenschutzkommission genehmigt werden - dies würde gerade im Fall von privaten Unternehmen nur selten geschehen.
Die Homepage ist Teil einer langen Entwicklung von Verbesserungen im Korruptionsbereich. Als 2008 die Korruptionsstaatsanwaltschaft gegründet wurde, bestand sie aus zwei Planstellen -deren ehemaliger Leiter Walter Geyer setzte sich jahrelang für eine Whistleblower-Regelung ein. Heute beschäftigt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft 20 Staatsanwälte, bis Ende 2014 soll sie mit mehr als 40 Personen die zweitgrößte Staatsanwaltschaft in Österreich sein. An der Wirtschaftsuni in Wien wurde außerdem ein eigener Masterlehrgang für Wirtschaft und Recht geschaffen, um spezialisierte Staatsanwälte auszubilden.
Auch in der Wahrnehmung der Justiz dürfte sich durch die großen Korruptionsfälle und den Untersuchungsausschuss 2012 einiges verändert haben. Ein Beispiel dafür sind zwei Causen im Zusammenhang mit Ex-Innenminister Ernst Strasser: 2009 wurde im Innenministeriums-U-Ausschuss bekannt, dass ein Staatsanwalt eine Amtsmissbrauchsanzeige im Zusammenhang mit einem ganzen Konvolut an belastenden E-Mails, in denen es um parteipolitisch motivierte Postenbesetzungen im Innenressort ging, bis zur Verjährung "übersehen" hatte.
Die Lehren aus denFällen Strasser und Co.
Drei Jahre später wurde Strasser in der Lobbyisten-Affäre nicht rechtskräftig zu vier Jahren Haft verurteilt. Die Begründung des Richters: "Wenn die Korruption ganz oben beginnt, besteht für die Justiz akuter Handlungsbedarf."
Auch gegen andere Politiker - von Kärnten bis zum Bundeskanzleramt - laufen Ermittlungen, das Korruptionsstrafrecht wurde erst zu Jahresbeginn wieder verschärft, nachdem man die sehr strenge Regelung von Ex-SPÖ-Justizministerin Maria Berger 2009 gelockert hatte. Mit dem Transparenzpaket wurden die meisten Empfehlungen der Staatengruppe des Europarates gegen Korruption (Greco), der Österreich noch vor einigen Jahren heftig gerügt hatte, umgesetzt. Berger glaubt heute, dass das Bewusstsein durch die bekannt gewordenen Fälle geschärft wurde. Sie wünscht sich eine bessere Ausstattung der WKStA.
Ganz transparent geht es aber doch nicht: Man habe sich vertraglich verpflichtet, die Kosten für die Website nicht bekannt zu geben, sagte Karl, diese lägen allerdings unterhalb der Grenze für ausschreibungspflichtige Vergaben von derzeit 100.000 Euro.