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Verpiss Dich, Ungläubiger!

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Die Vorstellung, dass Islam und Demokratie vereinbar seien, entpuppt sich immer mehr als frommer Wunsch.


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Für seine mittels Twitter an Bundeskanzler Kern gerichtete volkstümliche Aufforderung "Verpiss Dich, Du Ungläubiger" sind wir dem Erdogan-Berater Burhan Kuzu zu einigem Dank verpflichtet. Indem er nicht nur herzhaft formuliert, sondern auch eine religiöse Dimension in den Konflikt zwischen Ankara und Wien einführt, weist er uns auf einen bisher eher unterschätzten Aspekt des derzeitigen "Putsches von oben nach dem Putsch" hin. Denn in der Türkei wird nicht nur die Demokratie zügig entsorgt, auch der Laizismus der türkischen Republik wird von Präsident Erdogan sukzessive zugunsten einer islamisch fundierten Realverfassung gekippt.

Noch ist die Türkei kein Gottesstaat - aber sie bewegt sich in diese Richtung. "Ungläubiger" wird deshalb plötzlich wieder eine politische Kategorie. Massiv unter Druck gerät damit aber vor allem auch eine Annahme, an der sich viele Intellektuelle im Westen seit dem sogenannten Arabischen Frühling klammern: dass der Islam und die Demokratie durchaus kompatibel seien. Zwar, so wurde regelmäßig argumentiert, gäbe es in keinem der 56 Mitgliedsländer der "Organisation Islamischer Staaten" eine wirklich ernstzunehmende Demokratie - aber in der gewichtigen Türkei eben doch. Also seien Demokratie und Islam zumindest grundsätzlich vereinbar, ein Muster für die islamische Welt sozusagen.

Eine Illusion, die gerade in sich zusammenbricht. Demokratie scheint in der Türkei eher eine Art Übergangsphase auf dem Weg in einen autoritär-islamischen Staat gewesen zu sein, der mit Demokratie ungefähr so viel am Hut hat wie Putins Russland, dafür viel mit Religion. Als Argument für die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie taugt die Türkei jedenfalls von Tag zu Tag weniger. (Ähnliches gilt übrigens auch für Indonesien, ebenfalls lange als Ausnahmefall einer muslimischen Demokratie gehandelt. Auch dort tritt immer mehr Scharia-Recht an die Stelle des Rechtsstaates, wird in der Region Aceh wieder gesteinigt und ausgepeitscht.)

Bleibt als einziger, denkbar fragiler Versuch, Islam und Demokratie unter einen Hut zu bringen, nur noch das kleine Tunesien in einer islamischen Welt von mehr als einer Milliarde Menschen. Und auch dort ist das Überleben der Demokratie mehr als ungewiss. Daraus folgt leider: Die Vorstellung, eine muslimische Demokratie sei möglich, politisch stabil und nachhaltig denkbar, ist realitätsferner denn je zuvor.

Warum das so ist, hat der mittlerweile pensionierte Papst Benedikt schon vor ein paar Jahren so formuliert: "Der Islam hat eine ganz andere Totalität der Lebensordnung, er umgreift einfach alles, und seine Lebensordnung ist anders als die unsere. Es gibt eine ganz deutliche Unterordnung der Frau unter den Mann, es gibt eine sehr fest gefügte und unseren modernen Gesellschaftsvorstellungen entgegengesetzte Ordnung des Strafrechts, der ganzen Lebensbezüge. Darüber muss man sich klar sein, dass er nicht einfach eine Konfession ist, die man auch in den freiheitlichen Raum der pluralistischen Gesellschaft einbezieht." Die Türkei hat versucht, das Gegenteil zu beweisen. Der Versuch ist leider als gescheitert zu betrachten.