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Athen: Schlechte Karten für Dimas - trotz Angebots von Premier Samaras.
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Athen. Alexandros Moraitakis, 67, Scheitel, Anzug, Börsenmakler, sitzt für die konservative Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) im Athener Parlament. Er ist ein Nachrücker. Erst im November zog er erstmals in die ehrwürdige "Boule der Hellenen" ein, für einen Parteifreund, der wegen Dissonanzen mit der Regierung kurzerhand das Handtuch warf.
Moraitakis steht an diesem frühlingshaften dritten Samstag im Dezember in einem gut gefüllten Saal im Athener Hilton. Per SMS-Botschaft hat er kurzfristig zu einer Rede geladen. Ob potenzielle Wählerschaft oder Medienschaffende: Alle wissen, weshalb Moraitakis sie geladen hat. Er tat dies nicht, weil im christlich-orthodoxen Hellas am 25. Dezember Weihnachten gefeiert wird. Was Moraitakis umtreibt: Seine Präsenz im Athener Parlament könnte schon bald ein kurzes Intermezzo gewesen sein.
Der Grund: Die seit vorigem Mittwoch laufenden Präsidentenwahlen drohen für den konservativen Premier Antonis Samaras und die mitregierenden Pasok-Sozialisten zu einem Debakel zu werden. Im ersten Durchgang votierten nur 160 Abgeordnete für ihren Kandidaten Stavros Dimas.
Dass Dimas, der als Einziger um die Stimmen der 300 Athener Abgeordneten buhlt, im heute fälligen zweiten Anlauf die Hürde von 200 Ja-Stimmen nimmt, ist ausgeschlossen. Auch im dritten Wahlgang, der für den 29. Dezember anvisiert ist, hat er schlechte Karten, obgleich dann nur noch 180 Stimmen für seine Wahl nötig wären. Scheitert Dimas, stünden in Athen sofortige Parlamentsneuwahlen an - 18 Monate vor dem Ende der regulären Legislaturperiode. Der klare Wahlfavorit: das "Bündnis der radikalen Linken" (Syriza).
Dass das Szenario vorgezogener Neuwahlen von Tag zu Tag immer wahrscheinlicher wird, liegt nicht zuletzt an schlimmen Bestechungsvorwürfen, die in Athen laut wurden. Pavlos Chaikalis, Abgeordneter der oppositionellen "Unabhängigen Griechen" (Anel), erklärte, ein Mann habe ihm kürzlich 700.000 Euro in bar, die Rückzahlung von Kreditschulden sowie Werbeverträge angeboten, wenn er für Dimas votiere. Die von Chaikalis genannten Angebote summieren sich auf zwei bis drei Millionen Euro.
Samaras kündigte derweil an, er werde Strafanzeige gegen Chaikalis erstatten. Er begründete seinen für einen Premier durchaus ungewöhnlichen Schritt damit, dass Chaikalis ihn zuvor öffentlich als Auftraggeber des Bestechungsversuchs bezeichnet habe.
"Zu spät und zu vage"
Vor dem Hintergrund der jüngsten Bestechungsvorwürfe vollzog Samaras am Sonntag überraschend eine Kehrtwende. Er appellierte in einer kurzfristig anberaumten Fernsehansprache eindringlich an die Athener Abgeordneten, "jetzt einen Staatspräsidenten zu wählen" und "damit Neuwahlen zu verhindern".
Samaras Offerte: Er sei dazu bereit, die "Regierung mit Personen zu erweitern, die an die proeuropäische Perspektive Griechenlands glauben", nach der Wahl eines Staatspräsidenten wohlgemerkt. Ferner könne man im Falle der Dimas-Absegnung einen Termin für Neuwahlen "Ende des laufenden Jahres" festlegen. Dies hatte Samaras bisher strikt abgelehnt. Einen konkreten Wahltermin nannte er indes nicht. Samaras’ überraschender Vorstoß scheint jedoch schnell zu verpuffen. Mit Vassilis Oikonomou und Jannis Kourakos begrüßten nur zwei unabhängige Abgeordnete, die im ersten Wahlgang nicht für Dimas votiert hatten, eindeutig den neuen Samaras-Plan. Sie wollen diesmal mit "Ja" stimmen. Ein dritter Unabhängiger, Panagiotis Melas, hatte Samaras schon vor dessen Schachzug seine Stimme zugesagt.
Den angebotenen Neuwahlen Ende 2015 zum Trotz: Beobachtern zufolge dürften im zweiten Anlauf höchstens 170 Abgeordnete für Dimas stimmen. Als potenzielle neue Dimas-Befürworter gelten diverse unabhängige Abgeordnete. Sie halten sich bislang mehr oder minder bedeckt. Nur: Das war’s dann schon. Alle fünf Oppositionsparteien, darunter Syriza, lehnen den Samaras-Deal ab. Der Tenor: Der im Einklang mit der öffentlichen Gläubiger-Troika aus EU, EZB und IWF seit dem Frühjahr 2010 betriebene rigide Austeritätskurs Athen gegenüber muss umgehend ein Ende finden. Und ohne Machtwechsel in Griechenland sei dieser Kurswechsel nicht möglich.
Die Hoffnung, Dimas könnte im Endspurt noch die Kurve kratzen, haben sogar Regierungsabgeordnete längst ad acta gelegt. "Zu spät und zu vage" sei der Samaras-Vorstoß erfolgt, heißt es dort. Der zur ND-Führungsriege gehörende Vize-Wachstumsminister Gerassimos Giakoumatos sagte mit entwaffnender Ehrlichkeit: "Ich bin gegen die Linie meiner Partei. Ich will Neuwahlen, damit wir ein für alle Mal diese Geschichte hinter uns bringen."