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Verpuffte Superlative

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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So schnell konnte Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, gar nicht die Senkung des Leitzinssatzes für den Euro-Raum auf ein historisches Tief verkünden, wie die internationale Expertenschar ihr Urteil verkündete, wonach der Schritt wohl wirkungslos verpuffen werde, zumal er von den Märkten ja bereits eingepreist worden sei.

Wir erleben die zeitliche Umkehrung von Aktion und Reaktion. Entwicklungen mithilfe gesicherter Erwartungshaltungen zu steuern, ist in dieser Krise längst unmöglich geworden. Allenfalls negative Überraschungen zeitigen noch konkrete, das heißt negative Folgen; Schritte in die - zugegeben vermeintlich - richtige Richtung verhallen dagegen weitgehend wirkungslos in einem Umfeld, welches Misstrauen zu seinem wesentlichsten Element erhoben hat.

Es gab einmal eine Zeit, da versuchten sich die führenden Institutionen von Politik und Finanzwirtschaft durch demonstrative Gelassenheit nach außen Respekt, Vertrauen und Glaubwürdigkeit - die Trias jener Werte, die Gewicht verleihen - zu verschaffen. Politik der ruhigen Hand nannte man das damals, als hektische Betriebsamkeit, um Problemlösungskompetenz vorzutäuschen, noch als kontraproduktiv empfunden wurde.

Heute dagegen ist die Ratlosigkeit fast schon mit den Händen zu greifen. Die Europäische Zentralbank versucht mit immer neuen Zinssenkungen, der Politik jene Zeit zu verschaffen, die notwendig ist, um Lösungen für die Probleme zu erarbeiten. Doch langsam nähert sie sich dem Ende ihrer Handlungsoptionen. Szenarien mit Negativzinsen taugen wohl allenfalls für die Theoriemodelle der Ökonomen.

Die Politik bewegt sich zwar, sogar in einem Ausmaß, das manchen - etwa 160 renommierten deutschen Ökonomen - mittlerweile zu weit und vielen anderen noch längst nicht weit genug geht. Doch den viel zitierten Märkten ist das alles nicht gut genug, um Vertrauen, diese Grundvoraussetzung allen wirtschaftlichen Tuns, wieder frei walten zu lassen.

Die Politik verbiegt sich bis an die Grenzen des politisch und rechtlich Möglichen. Die Europäische Zentralbank sorgt für historische Tiefststände auf der Zinsseite. Doch all diese Superlative und Rekordmarken verpuffen wirkungslos. Das lässt erahnen, wie weit der Weg zur Normalität noch ist.