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Verreisen, ohne wegzufahren

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann, seit 23 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Schienenromantik muss nicht bedeuten, mit der Bahn zu verreisen. Zughotels vermitteln Bahnträume ohne Ruckler und quietschende Bremsen.


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Sie haben ein komfortables Schlafwagenabteil gebucht. Sie fahren mit Ihrer Frau zum Bahnhof, steigen in den Zug und lassen sich vom Personal verwöhnen. Doch der Zug fährt nicht ab. Dann ist es sehr wahrscheinlich eines der drei deutschen Zughotels, in das Sie eingestiegen sind. Hier hatten mehrere findige Köpfe unabhängig voneinander die gleiche Geschäftsidee, mit der sie ausrangierte Eisenbahnwaggons vor dem Schicksal der Verschrottung retteten und ihnen eine neue elegante Zukunftsperspektive schenkten.

Dem Eisenbahnleben voll verschrieben hat sich zum Beispiel die Familie Dückinghaus. Sie betreibt in der kleinen Gemeinde Merzen, ein paar Kilometer nördlich von Osnabrück, ein Hotel-Restaurant besonderer Art. Hermann Dückinghaus hat bei Museumsbahnen sechs Eisenbahnwaggons erstanden. Und wo kein Bahnhof ist, da baute der Hotelier sich selber einen - mit Sitzbänken, Hinweisschildern und Bahnhofsuhr. Über den Bahnsteig kann man die "Donnerbüchse" (1928), die "Deutsche Weinstraße" aus den 50er-Jahren oder den "Güterwaggon"betreten und dort eine Nacht mit Drei-sterne-Komfort zubringen.

Die Doppelzimmer verfügen über ein Bad und WC, Föhn, Flachbildfernseher, Telefon und Klimaanlage. Sogar W-Lan-Anschluss gibts gratis. Ein großer Vorteil für sensible Schläfer: Es stört kein Ruckeln und kein Bremsenquietschen, kein Schlafwagenschaffner klopft sie aus ihren Träumen.

Im "Bahnhofsrestaurant" werden die Getränke stilgerecht per Modelleisenbahn serviert. Die Kellnerin zapft das Bier, stellt es auf die Kleinbahn und schickt es computergesteuert zum Zielbahnhof. Jeder Tisch hat einen originalgetreuen Miniaturbahnhof aus der umliegenden Gegend. Auch die Front-Küche wurde in aufwendigem Orient-Express-Design erbaut; so können die Gäste beim Zubereiten der Speisen zuschauen.

Zwei ähnliche Hotels befindensichimOsten Deutschlands: In Wolkenstein im Erzgebirge (Sachsen) und in dem 1800-Seelen-Ort Altes Lager bei Jüterbog (Brandenburg). Das Wolkensteiner Zughotel - Am Bahnsteig 10 - bietet Betten erster und zweiter Klasse, ein Restaurant für 80 Gäste und eine Bierterrasse.

1870 kaufte der preußische Fiskus von der Abtei Kloster Zinna ein Gelände von mehr als 20 Hektar und ließ ein großes Gefangenenlager in Barackenform und Großzelte anlegen. Dort befindet sich heute das "Schlafwagenhotel", das mangels Heizung nur von März bis Oktober geöffnet hat. Dafür kann man aber den Flair einer Reise in einem Schlafwagen der Transsibirischen Eisenbahn atmen. Zusätzlich kommen Autonarren auf ihre Rechnung, denn gefrühstückt wird im angrenzenden Oldtimercafé, in dem Fahrzeuge aus den Baujahren 1953 bis 1970 besichtigt und demnächst auch erworben werden können.

Wer von der Schienenromantik noch nicht genug hat, dem sei ein Besuch in der Berliner "Train Cocktailbar" empfohlen. Inmitten des städtischen Grau versteckt sich hinter einem ausrangierten S-Bahnwagen eine kleine grüne Idylle im Kultbezirk Schöneberg. Das in warmem Licht anheimelnd erstrahlende Holz-Interieur bietet den idealen Hintergrund für das gewisse Bar-Feeling, während man in der Train-Lounge in gemütlichen roten Polstersesseln versinkt oder das dicht verwachsene Paradies des Sommergartens genießt.

Hans Christian Andersen schrieb nach seiner Europa-Reise in "Eines Dichters Basar": "Ich habe mehrere sagen hören, dass durch die Eisenbahnen alle Reisepoesie verschwunden sei und man an dem Schönen und Interessanten vorbeijage. Was Letzteres betrifft, so steht es ja jedem frei, auf jeder beliebigen Station zu bleiben und sich da umzusehen." Eben verreisen, ohne wegzufahren.