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Verrohung der Sprache

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Wenn sich Europa nicht ändere, sei bald kein Europäer mehr sicher auf der Straße, meinte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Damit erreichte er nach seinen Nazi-Sagern einen neuen, kaum noch vorstellbaren Tiefpunkt. Abgesehen davon, dass solche Drohungen auch von einer Privatperson letztklassig und inakzeptabel wären, sind sie auf Staatschef-Ebene zusätzlich zerstörerisch. Denn Erdogan beschädigt damit nicht nur die türkische Wirtschaft, sondern schürt auch Ressentiments gegen die türkischen Mitbürger in Europa. Als Staatspräsident ist er eine repräsentative Figur, das wenigstens wird er ja wissen.

Umso wichtiger ist es jetzt, dass Politiker in Europa in ihrer Kritik fein säuberlich zwischen Erdogan samt seiner Politgarde und den türkischen Mitbürgern unterscheiden. Selbst jene, die mit Erdogans Referendum sympathisieren, können nichts für dessen verachtenden Satz.

Vielmehr muss gegen diese Verrohung der Sprache vorgegangen werden, die in der Politik um sich greift.

Die Art und Weise, wie US-Präsident Donald Trump republikanische Abgeordnete aufforderte, für seine Version der Krankenversicherung zu stimmen, erinnerte US-Medien als "Mafiaboss-Methoden".

Und die Aussage von (Noch-)Eurogruppe-Chef Jeroen Dijsselbloem, wonach die Südeuropäer das Geld "mit Schnaps und Frauen" durchgebracht hätten und nun Hilfe von der EU erwarten würden, zeigt auch, dass in der Politik Dämme brechen.

Die Sprache ist aber eines der höchsten zivilisatorischen Güter. Je roher die Sprache, desto roher die Gesellschaft. Wer Gewalt sät, wird am Ende Gewalt ernten. Und wer andere verächtlich macht, hat ganz offenkundig auch von sich selbst keine allzu hohe Meinung.

Gerade europäische Politiker sind aufgerufen, auch hier als Antipoden zu wirken und gegen die Verrohung der Sprache aufzustehen. Wohin der sprachliche Antisemitismus Europa geführt hat, wissen wir. Das sollte doch genügen.

Erdogan wird mit seiner Rhetorik die Türkei von Europa lösen, das ist ja ganz offenkundig sein Ziel. Das ist schade, aber nicht sehr nachhaltig. Denn ohne Europa wird die Türkei gesellschaftlich und wirtschaftlich stark zurückfallen. Und das wiederum werden sich am Ende die türkischen Bürger nicht gefallen lassen.