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Versäumnisse und andere Unappetitlichkeiten

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Das Ausmaß des ökonomischen Raubes durch Arisierungen und Zwangsarbeit und die Diskriminierung von Sinti und Roma bei der Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus standen Donnerstag im | Mittelpunkt der Referate am zweiten Tag der internationalen Holocaust-Konferenz an der Wiener Universität.


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Die Aufarbeitung des wirtschaftlichen Raubes der Nationalsozialisten nach 1945 sei eine Geschichte der Versäumnisse, Fahrlässigkeiten und anderer Unappetitlichkeiten, betonte der

Wirtschaftswissenschaftler Fritz Weber. Laut einer Aufstellung der Wiener Kultusgemeinde wurden in den Jahren zwischen 1938 und 1945 Werte im Umfang von 2,5 Mrd. Reichsmark jüdischen Österreichern

entzogen, nach heutigem Kaufkraftwert mindestens 85 Milliarden Schilling. Von 26.000 jüdischen Geschäften wurden 21.000 nach dem Anschluß aufgelöst und 5.000 arisiert, wobei die Eigentümer maximal 40

Prozent des Verkaufserlöses, der ohnehin schon bis zu 70 Prozent unter dem tatsächlichen Wert lag, auf Sperrkonten bekamen.

1938 betrugen die Einnahmen aus der Reichsfluchtsteuer und der sogenannten "Sühneleistung", die die Juden im NS-Staat nach den Pogromen der "Reichskristallnacht" zu leisten hatten, 5 Prozent der

Staatseinnahmen.

Weber wies aber auch darauf hin, dass ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung, die weniger als 5.000 RM besaßen · darübergehende Beträge mußten deklariert werden · in den Statistiken gar nicht

aufscheint und daher auch bei der Wiedergutmachung nicht berücksichtigt wurde. Nach dem Krieg seien in Österreich 42.000 Anträge auf Rückerstattung gestellt worden, nur etwa 8.000 wurden bewilligt.

In den meisten Fällen kam es zu einem Vergleich ohne Bezug zum wahren Wert.

Als Musterbeispiel für böse bürokratische Mentalität führte Weber das Beispiel eines Beamten des Finanzministeriums an, der den Wert von Silberwaren nur nach dem reinen Silberwert festlegte, da "sie

nicht im Originalzustand, sondern eingeschmolzen" an das Deutsche Reich gelangt seien.

Die schwierige Situation osteuropäischer Zwangsarbeiter, die erst seit den Neunzigerjahren um Entschädigungen ansuchen könne, beleuchtete der Münchner Journalist Michael Stiller. Notwendige

Bescheinigungen über ihre Verschleppung bekommen sie von der zuständigen Stelle in Arolson mitunter erst nach einer Wartezeit von fünf Jahren.

Vor besondere Schwierigkeiten waren Sinti und Roma sowohl in Deutschland als auch Österreich nach 1945 bei ihrem Wunsch nach Anerkennung als NS-Opfer gestellt. Der baden-würtembergische

Landesvorsitzende der Sinti und Roma, Daniel Strauß, und die Innsbrucker Politologin Erika Thurner wiesen in ihren Vorträgen darauf hin, dass Sinti und Roma lange Zeit nicht als rassische Opfer

anerkannt wurden, dass man sie vielfach als Asoziale, Arbeitsscheue und Kriminelle abstempelte und so um Entschädigungen brachte. Vielfach seien jene Männer, die für ihre Deportation in Arbeits- und

Konzentrationslager verantwortlich waren, nach 1945 für die Behandlung ihrer Anträge zuständig gewesen. Die Planer, Organisatoren und Vollstrecker des Völkermordes an den Sinti und Roma blieben

unbestraft und konnten ihre Karrieren fortsetzen, sagte Strauß, altes NS-Unrecht sei nach 1945 in neue Verordnungen gegen diese Gruppe übergegangen, zum Teil mit dem gleichen Vokabular.

Die österreichischen Zigeunerlager Lackenbach (Burgenland) und Maxglan (Salzburg) seien bis 1961 nicht als KZ anerkannt gewesen, betonte Thurner, in einer politischen Stellungnahme sei sogar von

einem "Internat für Halbwüchsige " gesprochen worden. Nur 10 Prozent der betroffenen Sinti und Roma sei es gelungen, Opferleistungen zu bekommen. Viele blieben mit ihren Anträgen im Dickicht der

Behörden stecken.

In einer Podiumsdiskussion rief Wissenschaftsminister Caspar Einem dazu auf, Populismus, der sich gegen verschiedene Minderheiten richtet und diese zu "Volksschädlingen" macht, entschieden

entgegenzutreten. Verantwortung beginne erst, wenn man sich die Frage stelle, was heute zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit führt und was man dagegen tun kann. Den Fragen im Zusammenhang mit

geraubtem Eigentum und Zwangsarbeit müsse man sich stellen.

In die gleiche Kerbe schlug der Generaldirektor der Postsparkasse, Max Kothbauer: Eine offene Aufarbeitung der Geschichte werde dazu führen, dass die materiellen Fragen gelöst werden. Ein seelischer

Friede sei erst dann möglich, wenn klargestellt ist, was Recht und Unrecht war.