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Verschärfte Strafen bei Hartz IV

Von WZ-Korrespondent Markus Kauffmann

Europaarchiv

Trotz weniger Jobsuchender bleibt Arbeitsmarkt Sorgenkind. | Kosten für Hartz IV steigen. | Berlin. Die schönen Tage sind nun zu Ende. Nach der Anfangseuphorie hat der politische Alltag die große Koalition in Berlin eingeholt: Die größte Steuererhöhung in der deutschen Nachkriegsgeschichte ist beschlossen, zähe Verhandlungen verwischen das ursprüngliche Bild der Reformfreudigkeit, und neue Belastungen kommen auf Kranke und Arbeitslose zu. Nach anfänglichem Höhenflug sinken die Umfragewerte für CDU und SPD in den Keller.


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Zwar sind erste Anzeichen einer Trendwende nicht zu übersehen: Noch nie seit der Wiedervereinigung ist die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vorjahresmonat so gesunken wie im Mai - selbst saisonbereinigt wurden die Erwartungen um das Vierfache übertroffen. Statt der Schröderschen fünf, sind heute viereinhalb Millionen ohne Job. Die Wirtschaft wächst, das Klima bessert sich, die Kauflust der Deutschen ist groß wie noch nie.

Die Schwalben machen aber noch keinen Sommer: Neben der Kräfteverteilung zwischen Bund und Ländern und dem kranken Gesundheitswesen bleibt der Arbeitsmarkt das Sorgenkind Nummer eins der Regierung. Die Arbeitslosenquote von rund elf Prozent ist ein drängendes Problem, an dessen Lösung auch das Schicksal der Koalition hängt.

Einsparung blieb aus

Inzwischen leben in Deutschland bereits sieben Millionen Menschen von Hartz IV. So nennt sich die vierte Stufe der Arbeitsmarktreformen, die nach dem früheren VW-Personalmanager benannt wurden. Wer heute arbeitslos wird, kann nur noch ein Jahr lang aus seiner Arbeitslosenversicherung Geld bekommen - das Arbeitslosengeld I. Danach erhält er das so genannte Arbeitslosengeld II, das weitaus niedriger ist, aber höher als die von den Landkreisen und Gemeinden bezahlte Sozialhilfe. Letztere bekommen nur noch arbeitsunfähige Bedürftige; wer arbeiten könnte, erhält die Hartz IV-Sätze - 345 Euro im Monat. Zweierlei wurde von Hartz IV erhofft: schnellere und bessere Jobvermittlung für Arbeitsuchende sowie Entlastung der öffentlichen Kassen durch Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Ersteres scheint nun zögernd einzutreten, zweiteres - die Einsparung - ist völlig ausgeblieben.

Im Gegenteil: Im Vorjahr musste die Regierung etwa doppelt so viel für die "Grundsicherung von Langzeitarbeitslosen" ausgeben wie geplant. Alles in allem kostete Hartz IV etwa 44 Milliarden Euro, fünf Milliarden mehr, als an Arbeitslosen- und Sozialhilfe getrennt ausbezahlt wurde. Der Missbrauch ist enorm: Das Arbeitsministerium schätzt, dass in etwa 80.000 Fällen zu Unrecht Arbeitslosengeld II kassiert wird.

Deshalb zog der Bundestag gestern, Donnerstag, die Notbremse: Die Regeln werden strenger, die Sanktionen gegen Schummler schärfer. Wer dreimal einen zumutbaren Job ablehnt, verliert alle Ansprüche. Ebenso, wer unangemeldet auf Urlaub geht und somit dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht. Wer mit anderen zusammenlebt, muss beweisen, dass dies keine Lebensgemeinschaft ist. Sonst werden die Zuschüsse fürs Wohnen gestrichen; ebenso wie generell den Unter-25-Jährigen.

Hoher politischer Preis

Trotz der Misstöne im Vorfeld waren sich Union und SPD im Grunde darin einig, dass eine Reform der Reform unausweichlich sei. Das war schon im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Die extremen Standpunkte - alles so belassen oder alles abschaffen - konnten sich nicht durchsetzen. Auch die von einigen Unionspolitikern geforderte Kürzung der Regelsätze wurde abgewehrt. Große Koalitionen stehen immer auf den wackligen Beinen des Kompromisses. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Vizekanzler Franz Müntefering sehen sich Vorwürfen ihrer jeweiligen Fundis ausgesetzt, dem Partner allzu willfährig nachzugeben. Die SPD hat dabei den schwierigeren Part, nicht nur, weil sie der kleinere Teil der Koalition ist, sondern weil die Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei-PDS, Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, nur darauf lauern, enttäuschte Sozialdemokraten aufzusammeln. Auch die FDP profitiert von der Ochsentour der Koalition und hält sich wacker auf ihren 13 Prozent.

Projekte wie die Hartz-Reformen waren zudem mit hohen politischen Preisen bezahlt worden: Letztlich ist Gerhard Schröders Rot-Grün-Experiment daran gescheitert. So wärmte sich die krisengeschüttelte SPD an den Worten ihres Neo-Vorsitzenden Kurt Beck, der die Union davor warnte, die Schlachten von vorgestern erneut zu schlagen. Die schwarzen Mannen trösteten sich mit dem Machtwort ihrer Frontfrau Merkel, die "grundlegende Überholung" versprach.

Im Herbst will die Koalition noch einmal die Wirksamkeit von Hartz IV auf den Prüfstand stellen.