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Das Gute an schlechten Zeiten ist, dass man beginnt, von einer besseren Zukunft zu träumen. Man kann sich ja schlecht ausschließlich dem Trübsinn der momentanen Misere hingeben. Das erklärt wahrscheinlich einen Gutteil der derzeit herumschwirrenden EU-Reformideen.
Der allerjüngste stammt von EU-Präsident Herman Van Rompuy. Der Belgier fordert, verkürzt formuliert, eine bindende Verpflichtung der 17 Euro-Staaten, Reformvorschläge der EU-Kommission auch umzusetzen. Auch wenn der Vorschlag keine Chance auf Umsetzung hat, lohnt es sich, ihn in Gedanken durchzuspielen.
Österreich beispielsweise leistet sich ein Pensionssystem, das - trotz einiger Reformen - die absehbare demografische Entwicklung eisern ignoriert. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die politischen Kosten, dies zu ändern, werden von den verantwortlichen Akteuren höher eingeschätzt als die daraus resultierenden Vorteile, die noch dazu aller Voraussicht nach erst von der nächsten Politikergeneration lukriert werden können. Also bleibt, so lange es nur irgendwie geht, alles beim Alten. Und weder ist Österreich das einzige Land noch das Pensionssystem der einzige Bereich, in dem die politische Kosten-/Nutzenrechnung auf "Augen zu und durch" steht. Die Lust, die Kosten des Wohlfahrtsstaates in die Zukunft zu schieben, ist allgegenwärtig - und offensichtlich ein besonderes europäisches Charakteristikum.
Angesichts dieser traurigen Tatsache läge nichts näher, als ein (allenfalls in ferner Zukunft demokratisch legitimierter) technokratischer Automatismus, der die auf Machterhalt ausgerichtete Politik nationaler Regierungen aushebelt. Vor allem die Jungen müssten daran eigentlich ein eminentes Interesse haben, weil ihre Lebenschancen derzeit allenfalls in Sonntagsreden Berücksichtigung erfahren. Aber wie gesagt: Die Realisierungschancen für den Vorschlag Van Rompuys sind ohnehin gleich null.
Dafür gibt es allerdings auch einige gute Gründe. Noch - und wahrscheinlich noch für ziemlich lange Zeit - sind es die nationalen Regierungen, von denen sich die Bürger zuallererst die Lösung ihrer alltäglichen Probleme erwarten. Das ist, jedenfalls bis auf Weiteres, die Ausgangslage bei nationalen Wahlen. Die Verantwortung nationaler Regierungen sollte zumindest so lange nicht kleingeredet werden, bis etwas Besseres allgemeine Zustimmung gefunden hat.