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Verschwendung im Gesundheitswesen

Von Ernest Pichlbauer

Wissen

Der Hausarzt als Patientenlotse. | Kompromisse zwischen Politik, Kassen und Ärzten nötig. | Wien. Die Forderung nach einem integrierten Gesundheitssystem und der Finanzierung aus einer Hand ist nicht nur eine Idee von theoretisierenden Gesundheitsphilosophen, sondern hat handfeste Hintergründe. Österreich ist weit von einem integrierten Gesundheitssystem entfernt - und um eine Unterversorgung zu verhindern, werden erhebliche Summen an Steuergeldern und Sozialversicherungsbeiträgen verschwendet.


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Beispiel fehlende Steuerung der ärztlichen Leistungen: Viele Leistungen, die heute auf Facharzt-Ebene erbracht werden, könnten verstärkt auf die Allgemeinmediziner-Ebene umverteilt werden. Auf Facharzt-Ebene könnten viele Leistungen durch niedergelassene Fachärzte wohnortnah, statt zentral durch das Krankenhaus, erbracht werden. Eine solche Verschiebung funktioniert aber nur, wenn es möglich wird, Leistungen effektiv und integrativ zu steuern.

Ein einfaches Instrument dazu sind Hausarztmodelle - der Hausarzt als Patientenlotse. Dort wo diese eingeführt wurden, sind die Fallkosten um 13 Prozent gesunken. Da in Österreich ein hohes Maß an Intransparenz über die Finanzierungsströme existiert, kann nur grob geschätzt werden, aber mit jährlich rund 500 Millionen Euro Einsparungspotenzial liegt man sicher konservativ.

Wollte man dieses realisieren, müssten sich jedoch 23 Krankenkassen, 9 Länder und 30 bis 40 Spitalsbetreiber einigen, wer in welchem Ausmaß gespart hat und wie man das eingesparte Geld aufteilt - ein Ding der Unmöglichkeit. Bevor man etwas von der eigenen Macht abgibt, oder zuließe, der andere könnte mächtiger werden, bleibt alles so wie es ist - und repariert weiter einnahmenseitig.

Beispiel stationäre statt ambulante Behandlung: Vergleicht man international, dann sind viele der in Österreich stationär erbrachten Leistungen ambulant beziehungsweise tagesklinisch erbringbar. Für 400.000 stationäre Patienten würde wahrscheinlich die Versorgung durch einen niedergelassenen Arzt ausreichen, wobei etwa ein Drittel eine tagesklinische Ausstattung benötigen würde. Weitere 250.000 vollstationäre Patienten könnten vermutlich in einer dem Spital angeschlossenen Tagesklinik versorgt werden.

Ambulant beziehungsweise tagesklinisch erbrachte Leistungen kosten etwa 35 bis 40 Prozent weniger pro Fall, als die vollstationäre Variante. Pro Fall ist, grob geschätzt, mit einer Einsparung von 300 Euro zu rechnen, damit wären 200 Millionen Euro pro Jahr einsparbar. Aber auch hier bewegt sich nichts, obwohl diese Tatsachen bereits seit der WHO-Stellungnahme zum österreichischen Spitalswesen aus dem Jahr 1969 bekannt sind.

Seit damals wird diskutiert, ändern darf sich aber nichts, man müsste sonst ja womöglich sogar Krankenhäuser sperren oder Betten abbauen - und solange man die Einnahmen erhöhen kann, besteht kein Grund, etwas zu ändern.

Beispiel Akut-Krankenhaus statt nachsorgende Strukturen: Aktuell ist es unmöglich, genau festzuhalten, welche Quantitäten des überdurchschnittlich langen und häufigen Liegens alter Menschen im Spital wirklich wegen medizinischer Ursachen und welche ausschließlich wegen extramuraler Pflegeengpässe entstehen. Ein nicht unwesentlicher (Mit)Grund hierfür dürfte auch die Tatsache sein, dass man im Krankenhaus nur etwa 3 Prozent Selbstbehalt hat, während extramural alle Leistungen zwischen 38 Prozent und 66 Prozent Selbstbehalt aufweisen.

Am Ende kann man aber von wenigstens 10.000 Betten (die etwa 1,7 Milliarden Euro kosten) ausgehen, die eigentlich keine Akutbetten sind, sondern als Pflegebetten gebraucht beziehungsweise missbraucht werden.

Die Patienten in diesen Betten lassen sich in zwei Gruppen teilen. In jene, die nach dem Spitalsaufenthalt daheim mobil versorgt werden, und jene, die in ein Heim kommen. Bei ersteren kann man von Kosten in der Höhe von 35 bis 40 Euro pro Tag ausgehen, bei jenen in Heimen von 75 Euro. Im Vergleich dazu kostet der Tag im Krankenhaus je nach Abteilung 200 bis 600 Euro. Selbst wenn man nur 100 Euro pro Tag einsparen kann, würde das 300 Millionen pro Jahr ausmachen.

Ein gordischer Knoten

Um das einzusparen, müssten die Gesundheitspolitiker mit ihren Behörden und Machtkomplexen Kompromisse mit denen des Sozialbereichs und alle gemeinsam mit den Pensionsversicherungen und Krankenkassen (denn die Pflege muss man ja strikt von der Prävention und Rehabilitation trennen - zumindest in Österreich) und dem Gesundheitsministerium und mit privaten Hilfsvereinen und mit Ärztekammern und bald auch mit der Interessensvertretung der Therapeuten und wem sonst noch eingehen. Und wieder müssten alle einig sein, wie man erspartes Geld aufteilt, wer mehr kriegt, wer weniger Ein zynischer gordischer Knoten.

Es ist wenigstens 1 Milliarde Euro pro Jahr, die man im heutigen System rauswirft, um die bestehenden Machtkomplexe abzusichern. Da mutet die Diskussion über die 24-Stunden-Betreuung lächerlich an.

Würden diese historisch gewachsenen Machtstrukturen nicht existieren, sondern die Versorgung integrativ gesteuert und aus einer Hand finanziert werden können, dann wäre genug Geld da, um jedem, aber auch wirklich jedem Bedürftigen eine solche Betreuung als Sozialleistung zur Verfügung zu stellen - ohne Beitragserhöhung und ohne Diskussion.

Dr. Ernest G. Pichlbauer ist

Gesundheitsexperte in Wien.