Ist Frank Stronach nur Mittel zum Zweck, macht er gar gemeinsame Sache mit den Roten? Innenpolitik ist schon ziemlich aufregend.
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Wenn die Menschen in vormodernen Zeiten etwas nicht verstanden haben, die Ursachen eines Gewitters etwa, Flut und Ebbe oder schlicht ihre eigene Existenz, haben sie sich Mythen und Märchen zurechtgeschustert, um Sinn in die vermeintlich sinnfreie Umwelt zu bringen. Wenn wir heute etwas nicht verstehen und Wissenschaft und Verstand nicht weiterhelfen, greifen wir gerne zu Verschwörungstheorien. Das Prinzip ist, mehr oder weniger, das gleiche.
Innenpolitische Beobachter, ob beruflich oder aus verquerer Leidenschaft, sind besonders anfällig, auf dieses letzte Hilfsmittel zurückzugreifen.
Derzeit etwa bewegt die Gemeinde, warum sich der ORF als Thema für seinen Polittalk Sonntagabend nicht dem heißen Golan-Eisen gewidmet hat, sondern den kruden Gewerkschaftsideen Frank Stronachs.
Dazu kursiert eine bemerkenswerte Erklärungsvariante (sieht man einmal vom Offensichtlichen ab, dass Stronach live durchaus Unterhaltungswert bietet).
Der Grünen-Politiker Michel Reimon (den muss man als Leser einer Tageszeitung nicht kennen, der burgenländische Landtagsabgeordnete ist aber auf Twitter und Facebook eine große Nummer) wittert hinter der ganzen von Stronach aufgezogenen Debatte über Sinn und Unsinn des ÖGB eine Inszenierung.
Reimons These: SPÖ und Frank hätten die Diskussion über die Notwendigkeit von Gewerkschaften bewusst und abgesprochen vom Zaun gebrochen. Mit dem Ziel des gegenseitigen Vorteils, um so das eigene Profil zu schärfen: die SPÖ jenes einer Arbeiterpartei, die unerschütterlich hinter den Gewerkschaften stehe; Stronach jenes eines Radikalreformers mit ausgeprägtem Hang zum Tabubruch. Das (angebliche) Kalkül der SPÖ: Lieber einen Milliardär stärken, wenn dadurch nur die FPÖ geschwächt wird.
Angenehmer (angeblicher) Nebeneffekt: Alle anderen Parteien bleiben bei dieser Debatte ohne Chance auf Profilierung.
Die FPÖ hegt interessanterweise einen ganz ähnlichen Verdacht, nur viel größer und umfassender und, notabene, mit sich selbst im Zentrum: In blauen Augen ist der Einstieg Stronachs in die Politik eine einzige große Verschwörung des rot-schwarzen Imperiums, um den ansonsten unaufhaltsamen Aufstieg des blauen Siegfrieds zur Kanzlerschaft zu stoppen.
Der 80-jährige Austrokanadier mit der immer noch nicht veröffentlichten Steuererklärung scheint überhaupt die Fantasie zu beflügeln. Als etwa vor einigen Monaten der ORF scheinbar gar nicht genug von großen Studio-Interviews mit Stronach bekommen konnte, kam prompt die Mär in Umlauf, dahinter stecke eine ausgeklügelte Strategie. Auf diese Weise wolle man, dass sich der eigenwillige Diskussionsstil des Selfmade-Milliardärs durch Gewöhnung bei den Zuschauern abnutze . . .
Klingt natürlich alles hochgradig jenseitig, ist es wahrscheinlich auch. Zumal Stronach bei der Gewerkschaft ohnehin zurückgerudert ist. Nur warum der ORF überhaupt auf dieses Thema gesetzt hat und nicht auf den Golan, bleibt journalistisch betrachtet weiter ein Mysterium.