Viele bezweifeln den Versuch einer Vergewaltigung durch Strauss-Kahn. | Sollte einer der mächtigsten Politiker Europas zu Fall gebracht werden? | Regierungspartei war vor US-Medien informiert. | New York/Brüssel/Paris. Die Verhaftung von Dominique Strauss-Kahn (in Frankreich wird er DSK genannt) in New York bringt in Brüssel die Gerüchteküche zum Brodeln. Europas Hauptstadt summt: Ob die Vorwürfe wohl stimmen und wie es nun weitergeht, wird von vielen diskutiert. Der Zeitpunkt der Affäre hätte für Europa nicht ungünstiger sein können. Strauss-Kahn war zum Eurogruppen-Treffen am Montagabend in Brüssel erwartet worden: Mit ihm sollte die weitere Vorgangsweise bei Griechenland geklärt werden. | 'Das ist das Ende der europäischen Hegemonie' | IWF-Chef bleibt in U-Haft | Draghi steuert EZB-Spitze an | Kandidatenreigen von französischer Ministerin bis zu US-Investmentbanker | Sarkozy spürt Aufwind für seine Wiederwahl | Für die Franzosen ist die rote Linie überschritten
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DSK hielt als Chef des Internationalen Währungsfonds im IWF die Amerikaner in Schach, die keine große Freude mit neuen Rettungspaketen für Griechenland haben.
In den kommenden Wochen wollte der 62-jährige Finanzpolitiker seine Kandidatur für die französische Präsidentschaft bekanntgegeben. Der Sozialist (und ehemalige Finanzminister Frankreichs) wäre gegen Amtsinhaber Nicolas Sarkozy in den Ring gestiegen. Alle Umfragen sahen ihn bei den Vorwahlen der sozialistischen Partei als Sieger, eine Umfrage sogar vor Sarkozy.
Ruf als "Womanizer"
Kurz: DSK war zu einem der mächtigsten europäischen Politiker aufgestiegen, als am Samstagnachmittag (Ortszeit) in New York im Air-France-Flieger AF 23 zehn Minuten vor dessen Abflug nach Paris die Handschellen klickten.
Was an den Vorwürfen der versuchten Vergewaltigung in der Suite 2806 des Nobelhotels Sofitel am New Yorker Times Square dran sind, müssen nun Gerichte klären.
Faktum ist, dass Strauss-Kahn einen langen Ruf als "Womanizer" hat - in Frankreich und auch in den USA: Im IWF gab es eine Untersuchung gegen ihn wegen möglicher Begünstigung, weil er eine Affäre mit einer ungarischen Ökonomin des Währungsfonds hatte. Diese arbeitet mittlerweile in London.
Dass er ein New Yorker Zimmermädchen zu Oralsex zwingen wollte, verstehen in Europa allerdings nicht alle. Manche in Brüssel meinen, dass er einer Intrige zum Opfer gefallen sei. "DSK hätte sich dafür wohl eine Prostituierte aufs Zimmer geholt", meinte einer unverblümt, der den IWF-Chef aus jener Zeit kennt, als er noch französischer Finanzminister war. "Warum sollte er versuchen, ein Zimmermädchen zu vergewaltigen?"
Dass auch mächtige Politiker ihren Hormonhaushalt nicht unter Kontrolle haben, zeigte freilich die Affäre des früheren US-Präsidenten Bill Clinton mit Monika Lewinsky. Dass umgekehrt mit Vergewaltigungsvorwürfen Menschen sehr rasch ins Abseits gestellt werden können, zeigt das Beispiel von Wikileaks-Gründer Julian Assange.
Das alles führt nun dazu, dass rund um die Verhaftung von Strauss-Kahn Verschwörungstheorien blühen. Sie alle drehen sich um die Frage: Cui bono? Wer profitiert von der Kaltstellung Strauss-Kahns? So wird von Bloggern genüsslich festgestellt, dass ein junger Mitarbeiter der französischen rechtskonservativen Sarkozy-Partei UMP am Samstag um 23 Uhr Pariser Zeit getwittert habe, dass DSK in einem Hotel in New York verhaftet wurde. Das war immerhin ganze eineinhalb Stunden, bevor die "New York Post" als erste Zeitung die Verhaftung von DSK auf ihrer Homepage berichtete.
Abgang freut die USA
Und das französische Gezwitschere - um 16 Uhr Ortszeit in New York - fand auch etwa eine halbe Stunde statt, bevor Strauss-Kahn tatsächlich aus dem Flugzeug geholt wurde. Die "New York Times" berichtete, dass der IWF-Chef zehn Minuten vor Abflug, also um 16.30 Uhr, aus der Erste-Klasse-Kabine der Air-France-Maschine geholt worden sei.
Der Anwalt von Strauss-Kahn sprach von einer "möglichen Provokation". Und auch Strauss-Kahns Ehefrau Anne Sinclair, eine bekannte TV-Journalistin, erklärte, dass sie nicht glaube, die Sache hätte sich so zugetragen.
Auch US-Stellen wird ein Interesse an der Beseitigung von Strauss-Kahn vom Posten im Währungsfonds nachgesagt. Die USA zeigen sich seit Wochen immer weniger bereit, Griechenland weiterhin Geld aus dem Währungsfonds (den die USA natürlich auch bestücken) zu geben. Gegen ein neues Programm für Griechenland legten sich die Amerikaner im Fonds zunehmend quer.
Es war im Wesentlichen Strauss-Kahn selbst, der all dies im Währungsfonds vertrat und sich auch in seinem Direktorium damit durchsetzte. Dass zum Eurogruppen-Treffen nach Brüssel nicht der interimistische Leiter des Währungsfonds, John Lipsky, anreiste, sondern die ohne Entscheidungsgewalt ausgestattete Vize-Generaldirektorin Nemat Shafik, nährt die Zweifel in Brüssel. Die detailreiche Bekanntgabe der angeblichen Vorkommnisse in der Suite binnen zwei Stunden an US-Medien kommt in Europa einigen recht suspekt vor.
Und zu guter Letzt kommen auch noch Zahlenmystiker auf ihre Rechnung: Das Ganze geschah in der Hotelsuite 2806. Bis 28. Juni können sich Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur der französischen Linken anmelden. Auch deren Kandidaten - den französischen Sozialistenführern Segolene Royal, Sozialistenchef Francois Hollande und Martine Aubry - wird Interesse nachgesagt, dass DSK nicht antritt.
Es kann aber auch sein, dass die Kandidatin der extremen Rechten in Frankreich, Marine Le Pen, recht hat: Sie attestiert Strauss-Kahn "sexuelle Pathologie", vergleichbar mit Italiens Premierminister Silvio Berlusconi. Was sie auch dazu sagte: "Jeder wusste von seiner Schwäche."