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Versöhneritis

Von Harald Oberhofer

Gastkommentare
Harald Oberhofer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien und forscht am Wifo.
© Roman Reiter / WU

Bei der Aufarbeitung der Covid-19-Maßnahmen geht es auch darum, welche Lehren man für künftige Krisen ziehen kann.


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"Wenn du dich zur Versöhnlichkeit geneigt fühlst, so frage dich vor allem, was dich eigentlich so milde stimmte: schlechtes Gedächtnis, Bequemlichkeit oder Feigheit", schrieb der berühmte österreichische Schriftsteller Arthur Schnitzler in seinem "Buch der Sprüche und Bedenken: Aphorismen und Fragmente" im Jahr 1927. Nun, 96 Jahre später, soll unter Federführung des österreichischen Bundeskanzlers ein großer Versöhnungsprozess gestartet werden. Gesellschaftliche Gräben, die im Zuge der Covid-19-Pandemie entstanden sein sollen, möchte man schließen. Details werden nach der Osterruhe verkündet.

Am Beginn des Prozesses soll laut medialer Vorankündigung eine Aufarbeitung der Covid-19-Maßnahmen durch eine Kommission stehen. Systematische wissenschaftliche Evaluierungen der gesundheitspolitischen Beschränkungen sowie der wirtschaftlichen Hilfsmaßnahmen sind grundsätzlich zu begrüßen. Wenn man auf Basis von wissenschaftlicher Evidenz bewerten kann, welche Maßnahmen gut bzw. schlecht funktioniert haben, oder sogar kontraproduktiv waren, können Politik und Gesellschaft Lehren für zukünftige Krisen ziehen. Wie so oft, steckt der Teufel jedoch im Detail. Nicht oder nur eingeschränkt vorhandene Datengrundlagen sowie mangelnde Transparenz haben bereits während der Pandemie für viel Kritik gesorgt und die Möglichkeiten für evidenzbasierte politische Entscheidungen maßgeblich beschränkt. Warum unter unveränderten institutionellen Rahmenbedingungen die wissenschaftliche Begleitung des Versöhnungsprozesses besser möglich sein soll, erschließt sich kaum. Oder, mit Johann Wolfgang von Goethe gesprochen: "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." Das Datenchaos im österreichischen Gesundheitssystem lässt sich auf eine unübersichtliche Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern, Sozialversicherungsträgern und anderen Institutionen zurückführen. Solange keine Kompetenzbereinigung sowie eine verpflichtende Zurverfügungstellung der notwendigen Gesundheitsdaten für die Forschung vorgesehen sind, wird eine Aufarbeitung wenig neue wissenschaftliche Erkenntnisse bereitstellen können. Die Covid-19-Hilfszahlungen an Unternehmen können bis heute nicht mit anderen evaluierungsrelevanten Unternehmensmerkmalen verknüpft werden. Seriöse wissenschaftliche Evaluierungen zur Wirkungsweise der Covid-19-Hilfspakete sind deshalb nur eingeschränkt bis gar nicht möglich.

Ebenso würde es überraschen, wenn das Gesundheitsministerium im Zuge des Versöhnungsprozesses die fachlichen Begründungen für die Covid-19-Verordnungen in transparenter Form zugänglich machen würde. Noch letzten Sommer hat das Ministerium eine Anfrage nach dem Auskunftspflichtgesetz negativ beschieden und damit eine öffentliche Debatte über die relevanten Entscheidungsgrundlagen aktiv unterbunden. Über Transparenz wird viel gesprochen, gelebt wird sie von Regierenden im Regelfall nicht. Aber vielleicht begnügt sich die Regierung ja auch mit einer Marketing- und Inseratenkampagne. Die dafür notwendigen Strukturen und Rahmenbedingungen hat sich die Politik immerhin schon länger geschaffen. Nächste Woche wissen wir mehr.

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