Erste österreichische Kassenpraxis in Wien bietet Patienten muttersprachliche Live-Übersetzungen.
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Wien. Nach einem Unfall kommt ein 16-Jähriger ins Krankenhaus. Diagnose: Unterschenkelhalsbruch. Das Krankenhaus stellt die richtige Diagnose. Die behandelten Ärzte versuchen dem jungen Mann, der nicht gut Deutsch kann, zu erklären, dass er sein Bein verliert, wenn er nicht sofort operiert wird. Der Teenager versteht nur, dass eine Amputation ohnehin notwendig sei. Selbst die Englisch-Kenntnisse der Ärzte reichen nicht aus. Der junge Mann willigt in eine Operation nicht ein. Am nächsten Tag klärt eine Mitarbeiterin im Krankenhaus das sprachliche Missverständnis auf - doch es ist zu spät: Aufgrund von Komplikationen muss dem jungen Mann das Bein amputiert werden. Das Krankenhaus zahlt 39.000 Euro Schadenersatz.
Schlimme Folgen durch Sprachbarrieren
Von diesem aktuellen Fall berichtet der Patientenanwalt Gerald Bachinger im Rahmen einer Pressekonferenz gestern, Dienstag, in Wien. Geht es nach Bachinger, sollen Sprachbarrieren zwischen dem Arzt und Migranten bald der Vergangenheit angehören. Ab 1. Juni bietet nun die erste Kassenpraxis muttersprachliche Live-Übersetzung an. Nach Pilotprojekten im Justizbereich sowie im Kommunal- und im öffentlichen Spitalsbereich haben Patienten im Medico Chirurgicum im 23. Bezirk erstmals die Möglichkeit, auf Knopfdruck mit einem ausgebildeten Dolmetscher per Bildschirm zu sprechen. "Ein Grundelement einer vertrauensvollen Patienten-Arzt-Beziehung ist die Kommunikation. Was Patienten und Behandler oft noch trennt, ist die gemeinsame deutsche Sprache. Das Problem ist noch schärfer bei Menschen mit Migrationshintergrund", erzählt Bachinger von den Problemen in den Arztpraxen.
Im Medico Chirurgicum in Alt-Erlaa haben rund 20 Prozent der Patienten Migrationshintergrund. Viele können nun erstmals mit den Ärzten in ihrer Muttersprache kommunizieren - und fühlen sich dabei viel sicherer. Sprachbarrieren und Kommunikationsschwierigkeiten gehören in Wien schon lange zur Realität. Sowohl für Ärzte als auch für Patienten sind das keine leichten Situationen. Die Folgen von Missverständnissen sind menschliches Leid, aber auch erhöhte Kosten durch Haftungsfolgen, Krankenstände oder Arbeitsunfähigkeit. Riskant für alle Beteiligten, nicht zuletzt für das Gesundheitswesen selbst. Für Friedrich Anton Weiser, Gründer und Mitinhaber des Medico Chirurgicum, sind die Videodolmetscher vor allem durch die Absicherung auf rechtlicher Ebene eine Bereicherung. Bisher waren Übersetzungen durch eilig herbeigeholte Mitarbeiter oder auch durch mitgebrachte Verwandte nur eine unzureichende Lösung. Entstehen Missverständnisse, kann dies zu haftungsrechtlichen Auseinandersetzungen führen, die vermeidbar sind. "Oft kommen die Eltern mit sechs- oder achtjährigen Buben, die übersetzen und auf die wir uns verlassen müssen. Dabei weiß ich gar nicht, was die Kinder übersetzt haben. Diese Situation ist weder für mich als Arzt noch für die Patienten sicher", schildert Weiser aus seinem Alltag.
Derzeit beschäftigt das von SAVD Videodolmetschen betriebene Projekt 18 "Master-Dolmetscherinnen", die in einem Büro in der Triester Straße sitzen. Zusätzlich stehen 400 Dolmetscher in ihren Heimen zur Verfügung - nicht nur in Österreich, sondern auch in einigen Nachbarländern Österreichs. Insgesamt werden 30 verschiedene Sprachen angeboten, darunter die verbreitetsten Sprachen von Migranten wie Bosnisch-Kroatisch/Serbisch, Türkisch oder Arabisch sowie die Top-10-Asylsprachen, darunter Farsi und Urdu.
Wer Kosten trägt,ist noch ungeklärt
Peter Merschitz, Geschäftsführer des Unternehmens SAVD Videodolmetschen, betont, dass eine hochqualifizierte Kommunikation insbesondere im Gesundheitswesen von entscheidender Bedeutung ist. Das Unternehmen setzt auf bestens ausgebildetes Personal. Merschitz ist überzeugt, dass die richtige Kommunikation spätere Folgenkosten vermeidbar macht: "Die erste Praxis in Österreich ist uns so wichtig, weil es uns eine Möglichkeit gibt, auch die Ärztekammer zu überzeugen, weiter in die Breite zu gehen."
Dass verständnisvolle Kommunikation ein Patientenrecht ist, ist in der österreichischen Patientencharta festgehalten. Jeder Patient hat demnach das Recht auf Aufklärung, auf Selbstbestimmung und Information. Auch individuelle Besonderheiten müssen dabei beachtet werden. Die Antwort auf die Frage, ob es sich dabei um eine Bring- oder Holschuld handelt, bleibt in der Charta jedoch aus. Bachinger betont jedoch, dass Kommunikation aus rechtlichen, ethisch-humanitären und fachlichen Gründen "kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit ist". Und dabei gehe es "nicht nur darum, Wort für Wort zu übersetzen, sondern auch das kulturelle Umfeld miteinzubeziehen".
Die Einschaltung eines Videodolmetschers kostet 30 Euro. Der Dolmetscher steht dafür 15 Minuten zur Verfügung. Derzeit werden diese Kosten von den Ärzten des Medico Chirurgicum getragen. Damit soll vermieden werden, dass den oft finanzschwachen Patienten mit Migrationshintergrund die Kosten aufgebürdet werden. Weiser hofft längerfristig auf Förderungen, damit in Zukunft die Patienten verschont bleiben. Unverständlich ist für ihn, dass die Krankenkassen sich bis dato nicht in diesem Bereich engagieren. Bachinger sieht das ähnlich: "Jeder in gute Kommunikation investierte Euro rechnet sich in mehreren Bereichen: Nicht nur die Patienten freuen sich, sondern es werden rechtliche Haftungsfolgen vermieden, der Gesundheits-Outcome wird besser und auch Folgekosten wie Krankenstände werden reduziert."