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Verstummtes Istanbul

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Einen Tag nach dem Terroranschlag ist die Stimmung auf dem Sultan-Ahmet-Platz in Istanbul still und trüb.


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Istanbul. Es ist, als hätte der Terroranschlag in der historischen Altstadt Istanbuls auch die Sonne verjagt. Eine graue Wolkendecke liegt am Mittwoch über der Bosporusmetropole und drückt zusätzlich auf die trübe Stimmung. Auf dem Sultan-Ahmet-Platz zwischen den weltberühmten Baudenkmälern Hagia Sophia und Blaue Moschee hatte der Attentäter sich selbst und eine Touristengruppe aus Deutschland am Dienstag in die Luft gejagt. Zehn Deutsche starben bei dem Angriff. 15 Menschen wurden teils schwer verletzt, auch sie stammen überwiegend aus Deutschland, zwei kämpften am Mittwoch auf der Intensivstation noch mit dem Tod. Sie alle wollten einen unbeschwerten Winterurlaub mit Kulturprogramm in Istanbul und anschließendem Badeurlaub in Dubai verbringen.

Nachdem die Polizei den weiträumig abgesperrten Sultan-Ahmet-Platz am Mittwochmorgen zunächst für Passanten freigegeben hatte, riegelt sie ihn am Mittag wieder ab, weil sich der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und der kurzfristig in die Türkei gereiste deutsche Innenminister Thomas de Maizière zum Besuch des Tatorts angekündigt hatten. Fernsehkameras reihen sich vor den Absperrungsgittern auf, Korrespondenten aus vielen Ländern sprechen über die Stimmung am Tag, nachdem das touristische und kulturelle Herz der Türkei tief verletzt wurde. Sie sprechen darüber, dass sich das Land und seine glitzernde Metropole nur schwer von diesem Schlag werden erholen können.

Wenige Touristen

Dabei ist es nicht so, als wären keine Touristen auf dem Sultan-Ahmet-Platz, es sind nur weit weniger als an normalen Tagen. Vor der prächtigen römischen Yerebatan-Zisterne warten sonst Dutzende Menschen auf Einlass, am Mittwoch stehen sich nur ein paar Polizisten die Beine in den Bauch. Ähnlich das Bild vor dem weltberühmten Topkapi-Palast und selbst vor dem Hagia-Sophia-Museum, der meistbesuchten Touristenattraktion des Landes. Wenige Europäer sind zu sehen, sondern vor allem arabische Gäste, die in der Nebensaison aber ohnehin das Gros der Besucher ausmachen. "Irgendwie traurig" fühle sie sich, sagt die 18-jährige Sophia Winkler aus North Carolina in den USA. Angst habe sie nicht, aber auch kein gutes Gefühl. "Wir müssen uns wohl daran gewöhnen, dass es keinen sicheren Ort mehr gibt auf der Welt", sagt die Studentin. Sie und ihre drei Freunde wollen die Hagia Sophia besichtigen und möchten jetzt auch nicht darauf verzichten.

Die drei Amerikaner wollten ursprünglich eine Woche in Istanbul bleiben, nun verkürzen sie ihren Besuch auf zwei Tage. In ihrem Hostel seien bereits einige Gäste wegen des Terrorangriffs abgereist, sagen sie. Sie sind davon überzeugt, dass der Terrorist gezielt westliche Touristen töten wollte. Deshalb wundern sie sich, wie wenig Polizisten in der Istanbuler Altstadt zu sehen seien (obwohl es deutlich mehr sind als an normalen Tagen). "Wenn der Anschlag in Amerika passiert wäre, wären die Sicherheitsmaßnahmen viel, viel strikter."

Verunsichert sind wohl die meisten Besucher der Istanbuler Altstadt an diesem Tag. Anders als die jungen Amerikaner lobt Khaled Salim, modern gekleideter Mitarbeiter einer Telekom-Firma aus dem saudi-arabischen Dschidda, die Sicherheitsmaßnahmen. Er steht mit seiner Frau und zwei Töchtern ebenfalls vor der Hagia Sophia. Am Eingang des Großen Basars seien sie von der Polizei gründlich kontrolliert worden, sagt der 39-Jährige. "Istanbul ist für uns Saudis ein beliebtes Reiseziel, weil die Türkei als sicher gilt. Doch als wir gestern ankamen, erzählte uns der Taxifahrer, was passiert war. Da wollten wir am liebsten gleich wieder umkehren."

"Es gibt kein Versteck mehr"

Khaled Salim möchte seinen Urlaub trotzdem nicht abbrechen. "Ich habe das Gefühl, dass die Türkei sich um die Sicherheit bemüht", sagt er. Wie er stammen viele Touristen, die sich am Mittwoch in die Altstadt trauen, aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Die wenigen blonden Frauen oder Männer geben sich auf Nachfrage als Italiener, Engländer oder Schweden zu erkennen. Deutsche scheinen die Gegend zu meiden.

Doch auf einer Bank direkt vor der Hagia Sophia sitzen zwei junge Deutsche, die türkische Eltern haben. Furkan Aydin und Pinar Delikaya kommen aus Berlin, studieren seit einem Jahr in Istanbul Architektur. Angst habe sie nicht wirklich, sagt die 20-jährige Delikaya, die ein blaues Kopftuch trägt. Aber unheimlich sei es schon. Ihr Kommilitone ergänzt, dass es überall gefährlich sei, auch in Berlin, man könne sich nirgends mehr verstecken. "Nicht in Istanbul, nicht in Neukölln, nicht in Spandau."

Die Touristenführer am Eingang zur Hagia Sophia sprechen über ihre Sorgen, drücken den Deutschen ihr tiefes Beileid aus. Sie haben am Mittwoch praktisch nichts zu tun, niemand will ihre Dienste in Anspruch nehmen. Sie sprechen voller Hochachtung von ihrer Kollegin Sibel Satiroglu, die verletzt im Krankenhaus liegt. Die Fremdenführerin hatte die deutsche Reisegruppe betreut und bemerkte den Attentäter, als er sich zwischen die Menschen drängte. "Weg! Lauft um euer Leben!", habe Sibel gerufen, erzählt Ugur Küpeli, der seit 50 Jahren Touristen betreut. "Sie ist eine wahre Heldin", sagt er. Denn sie habe einigen aus der Gruppe das Leben gerettet.

Gegen 14:30 Uhr heulen Polizeisirenen, Blaulichter blinken, eine Kolonne von zwanzig schwarzen Limousinen biegt ein auf den Sultan-Ahmet-Platz und kommt am Thedosius-Obelisken zum Stehen, neben dem sich der Attentäter am Dienstag in die Luft sprengte. Es ist die Wagenkolonne des türkischen Premiers Ahmet Davutoglu und des deutschen Innenminister Thomas de Maizière. Die Politiker legen rote Nelken an der Umzäunung des historischen Monuments ab.

De Maizière hatte davor nach einem Treffen mit seinem türkischen Kollegen Efkan Ala gesagt, der Bombenanschlag richtete sich nach Erkenntnissen der deutschen Bundesregierung nicht gezielt gegen Deutschland. Es gebe nach bisherigem Ermittlungsstand keine Hinweise darauf. Ala erklärte, man habe am Dienstagabend einen Verdächtigen festgenommen. Auch bei einer Polizeioperation gegen den IS im südtürkischen Antalya seien drei verdächtige russische Staatsbürger festgenommen worden, vermeldeten lokale Medien. Ob diese Verhaftungen und Festnahmen in direktem Zusammenhang mit dem Anschlag standen, blieb unklar.

Als die Polizei wenig später den Sultan-Ahmet-Platz wieder für Passanten freigibt, versammeln sich viele Menschen um den Obelisken und gedenken der Anschlagsopfer. Die Schäden durch die gewaltige Explosion sind behoben, als hätte es sie nicht gegeben, das Pflaster erneuert, das Blut weggewischt. Wie nach dem verheerenden Anschlag der Terrormiliz Islamischer Staat am 10. Oktober in Ankara. Ein alter Türke sagt in gebrochenem Deutsch: "Es tut mir so leid für die Opfer. Sie wollten die Schönheit Istanbuls sehen und wurden ermordet. Was sind das für Unmenschen, die so etwas tun?"