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Ökonom Yu Yongding spricht sich für Kooperation EU-China aus, warnt aber Europa vor Einmischung.
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Streit um Billig-Solarpaneele aus China gegen Anti-Dumping-Verfahren gegen europäischen Wein: Der Ton zwischen der EU und China war rau in den vergangenen Monaten. Im Zwist um die Solarprodukte einigte man sich schließlich auf Mindestpreise für chinesische Importe und eine Deckelung der Gesamtmenge. Für einen pragmatischen Kurs spricht das hohe Investitionspotenzial im bevölkerungsreichsten Land der Welt: Europäer investierten 2011 insgesamt 17,5 Milliarden Euro in China, umgekehrt waren es lediglich 2,8 Milliarden Euro. Das sind jeweils nur drei Prozent aller Auslandsinvestitionen Chinas und Europas.
"Wiener Zeitung": Wie sieht China die Europäische Union?
Yu Yongding: Sehr positiv. China hat eine Vision der Weltordnung als multipolares System. China mag keine Hegemonie, sondern die Idee von mehreren starken Ländern, die gleichberechtigt nebeneinander bestehen und in Frieden leben. Von dem her gefällt China, dass die EU immer stärker wird und hofft, dass sie einer der Stützpfeiler der Weltordnung wird. Weiter gefasst, gefällt den Chinesen die europäische Kultur. Die ist sehr bedeutend. Chinesische Intellektuelle versuchen, von Europa zu lernen. Die Ideologie der Kommunistischen Partei ist aus Europa, aus Deutschland gekommen. Die chinesische Kultur ist sehr beeinflusst von der europäischen. Wir sehen sehr deutlich deren Wert.
Auf dem Forum Alpbach, wo Sie dieser Tage einer der Hauptredner waren, hat man vor allem gehört, dass Europa konkurrenzfähiger werden muss und man China nicht die Führung überlassen darf. Deutlicher ausgedrückt: Wir wollen besser als China sein und wollen nicht, dass es eine Führungsrolle einnimmt. Macht Sie so etwas wütend? Ist Europa arrogant?
Nein, das macht mich nicht wütend. China ist ja noch hinten nach in der wirtschaftlichen Entwicklung, in der Bildung und in anderen großen Bereichen. China sollte bescheiden sein. Es sollte natürlich stolz auf die alten Traditionen sein, aber gleichzeitig offen für alles sein, auch für Kritik von außerhalb, zumal von Europa. Das heißt nicht, dass alles, was von China gesagt wird, stimmt und befolgt werden sollte. China hat ein eigenständiges Denken.
Einer der Kritikpunkte ist, dass China Produkte - etwa Solarkollektoren - zu Dumpingpreisen auf den europäischen Markt wirft. Stimmt dieser Vorwurf, oder hat Europa nur Angst vor Konkurrenz?
Beides. Ich bestreite nicht, dass ein paar Lokalregierungen Unternehmer stützen, um die wirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln. Ich denke, dass dieser rasanten Entwicklung der Solarenergie eine Fehlkalkulation der Produzenten zugrunde liegt. Sie haben geglaubt, dass grüne Energie toll und die Zukunft Chinas ist. Daher haben sie hier stark investiert, was zu einer Überkapazität geführt hat. Um zu überleben, müssen die Produzenten die Solaranlagen jetzt billig verkaufen. Aber ich denke nicht, dass staatliche Subventionen der Schlüssel zur Lösung des Problems sind. Die sogenannten Beweise, die europäische Firmen für ihren Vorwurf des Dumpings ins Treffen führen, sind nicht sehr überzeugend. Nehmen wir zum Beispiel den Vorwurf, dass billige Kredite vergeben worden seien. Chinesische Handelsbanken geben Geld nicht einfach her. Das Ziel sind Profite, warum sollten sie dann Geld in zu erwartende Verluste investieren? Ich bin also nicht überzeugt, dass es tatsächlich Dumping gegeben hat.
Apropos Kredite: In China ist es für private Unternehmer sehr schwer, einen Kredit zu erhalten. Auch in Europa ist dies seit der Finanzkrise wesentlich schwieriger geworden. Welche Lösungsansätze schlagen Sie vor?
In China ist die monetäre Situation nicht so eng. China hat nicht unter Liquiditätsmangel und Kreditknappheit gelitten. Die wirtschaftliche Situation in China ist eine andere als in Europa. Dass die Handelsbanken eher staatlichen Betrieben, die den Großteil der chinesischen Wirtschaft ausmachen, als diversen privaten Betrieben Geld leihen, hat damit zu tun, dass sie damit kein Risiko eingehen. Sie fühlen sich damit auf der sicheren Seite. Das hat nichts damit zu tun, dass die Regierung sie zwingen würde, an staatliche Betriebe Kredite zu vergeben. Was wäre eine Lösung? - die Reform des chinesischen Finanzsystems. In China haben wir große Banken, aber kleine Banken, private Banken und Lokalbanken sind nicht entwickelt. Solche Banken kennen die Situation von Klein- und Mittelbetrieben und könnten ihnen eher Kredite geben. Eine Reform der Finanzinstitutionen und der makroökonomischen Politik könnte also helfen. Aber grundsätzlich ist die Vergabe von Krediten, so wie überhaupt in allen Ländern, problematisch. Dieses Problem kann nicht endgültig gelöst werden. Es ist ein fortschreitender Prozess.
Wir erleben derzeit den Streit um Solarkollektoren, in der Vergangenheit hat China mit Strafzöllen auf europäische Weine gedroht - wie groß ist eigentlich das Risiko eines Wirtschaftskriegs?
Eine Zeit lang war die Gefahr recht groß. Wenn die Pläne der EU-Kommission in die Tat umgesetzt worden wären (Strafzölle auf chinesische Solarkollektoren einzuheben, Anm.), hätte China zurückgeschlagen. Dann wäre die Situation außer Kontrolle gewesen. Die deutsche Regierung hat eine wichtige Rolle bei der Beruhigung gespielt. China und die EU sind beide reif und entwickelt, sie können sich zusammensetzen und Probleme ausdiskutieren, statt zu kämpfen.
Steht China den Vereinigten Staaten näher als der EU?
Das ist sehr kompliziert. Es gibt Gebiete, auf denen China der EU nähersteht, und Gebiete, auf denen es den USA nähersteht. Aber generell wird die EU im Vergleich zu den USA immer in einem sehr positiven Licht gesehen. China und die EU haben traditionell eine bessere Beziehung. Aber damit will ich nicht sagen, dass China eine Wahl zwischen den USA und Europa getroffen hätte. China will gute Beziehungen zu beiden. Ob diese gute Beziehung aufrechterhalten werden kann, hängt von einzelnen Themen und den Positionen verschiedener Regierungen zu diesen ab. Manche europäische Politiker beziehen von Zeit zu Zeit Stellung zu Themen, die China als innere Angelegenheiten betrachtet. Das verursacht Probleme. Das heißt nicht, dass europäische Politiker zu allen Themen, die China betreffen, schweigen sollten. Jeder kann sagen, was er will. Aber der Ton macht die Musik. Ihr solltet nicht annehmen, dass Ihr alles wisst. Ihr solltet nicht versuchen, China zu belehren. Ihr kritisiert, aber ich denke, dass Bescheidenheit wichtig ist. China ist so ein großes Land, politische und wirtschaftliche Themen sind so kompliziert. Selbst wir haben nicht immer eine klare Vorstellung von allem, wie könnt Ihr es dann besser wissen? Ihr könnt generell etwas ansprechen, aber wenn Ihr bei bestimmten Themen ins Detail geht, werdet Ihr involviert und riskiert einen Schuss ins eigene Knie.
Wird China vermehrt europäische Firmen kaufen?
China versucht gerade, seine Wirtschaft auszugleichen. Die Importe - auch aus der EU - werden gesteigert. China muss seinen Handelsbilanzüberschuss abbauen und das sollte es machen, indem es in europäische Firmen investiert. Das dient beiden Seiten zum Vorteil. Wir müssen nicht weiter Fremdwährungen horten, auf der anderen Seite können wir europäischen Ländern helfen, Jobs zu schaffen. Europäische Länder sollten chinesische Investitionen mit offenen Armen empfangen. Im Vergleich zu den USA ist die europäische Haltung ohnedies in Ordnung. Wann immer chinesische Firmen versuchen, etwas in den USA zu kaufen, heißt es: "Das ist strategisch wichtig, steht in Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit und kann daher nicht verkauft werden." Diese Haltung ist lächerlich.
Das chinesische Wirtschaftswachstum ist von zehn auf sieben Prozent gesunken. Sind da Gewitterwolken am Horizont?
Wir stehen vor einer großen Herausforderung. China ist mit einem Wirtschaftswachstum von in eine neue Phase der Entwicklung eingetreten. Diese sieben Prozent könnten für eine lange Zeit beibehalten werden, weil China jetzt seine Wirtschaft nachjustieren muss. Struktur und Zielsetzung passen nicht mehr. Die waren früher richtig, aber müssen für die Zukunft geändert werden. China muss seinen Handelsüberschuss reduzieren und den Konsum erhöhen. Das führt zu einem niedrigeren Wirtschaftswachstum. Aber die Regierung hat sich ein klares Ziel gesteckt: Die Wachstumsrate sollte nicht unter sieben Prozent fallen.
Wann, glauben Sie, wird der Renminbi zur handelbaren Währung?
In China ist das ein sehr kontroversiell diskutiertes Thema. Manche meinen, dass er bis 2020 voll konvertierbar wird und der Kapitalmarkt vollständig geöffnet wird, so wie in anderen Ländern auch. Ich persönlich glaube, dass es schwer ist, einen konkreten Zeitplan aufzustellen. Chinas Finanzsystem ist nicht sehr stark. Es gibt noch viele Gebiete, auf denen China Reformen vorantreiben muss. Es wäre sehr riskant, den Kapitalmarkt zu öffnen, bevor die entsprechenden Reformen abgeschlossen sind.
Einer chinesischen Studie zufolge steigen Gouverneure aus wirtschaftsstarken Regionen eher in der Partei auf als andere. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass gerade diese Regionen die größten Umweltprobleme haben. Wird hier ein Umdenken erfolgen?
Gewiss. Die Regierung hat das klargemacht: Wirtschaftswachstum wird nicht mehr als Kriterium herangezogen werden, die politische Leistung von Gouverneuren zu beurteilen. Gleichzeitig steigt das Umweltbewusstsein der Bevölkerung, die auch entsprechenden Druck macht. Dadurch sind die Gouverneure viel stärker sensibilisiert für die Sorgen der Bevölkerung.
China blickt aufgrund der Ein-Kind-Politik einer alternden Bevölkerung entgegen. Lässt sich diese Politik aus ökonomischer Sicht überhaupt aufrechterhalten?
Nein. China sollte diese Politik so schnell wie möglich aufgeben und sofort Anpassungen vornehmen. Auch um für die Zukunft ein Wirtschaftswachstum sicherzustellen.
Yu Yongding ist Ökonom an der chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften und ehemaliger Berater der chinesischen Notenbank.