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Verteilung und Gerechtigkeit

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ja nicht bekannt dafür, sich in die Fragen der sozialen Gerechtigkeit einzumischen. Umso erstaunlicher ist es, dass die "Finanzkrisen-Feuerwehr" der Welt in ihrem aktuellen Weltwirtschaftsbericht das Thema Lohnanteil an den Wohlstandsgewinnen kritisch hinterfragt. "Seit 1991 sinkt der Anteil der Arbeitseinkommen (an der Wirtschaftsleistung, Anm.) in 29 der 50 größten Industriestaaten. Diese 29 Länder repräsentieren zwei Drittel der Welt-Wirtschaftsleistung", warnt der IWF. Das würde zu sozialen Spannungen, einer globalen Des-Integration, Entsolidarisierung von Gesellschaften und erheblichen Risiken für das Wachstum führen, kritisiert der Währungsfonds.

Wenn in der Woche nach Ostern die Finanzminister und Notenbankchefs aller Länder zur IWF-Frühjahrstagung nach Washington reisen, bekommen sie ungewohnte politische Kost vorgesetzt. In der Vergangenheit ging es vor allem darum, Budgetdefizite und Staatsverschuldung zu reduzieren - auch um den Preis sinkender Löhne und Pensionen sowie steigender Lebensmittelpreise. Nun vollführt der als neoliberal geltende Währungsfonds einen Schwenk.

Und er ist damit nicht allein. Auch die OECD, die Organisation der 34 größten Industrieländer, sowie das Weltwirtschaftsforum in Davos befassen sich immer stärker mit Verteilungsfragen. Kapitalerträge steigen seit vielen Jahren deutlich stärker als die Arbeitseinkommen, das bedeutet in Klartext: Reiche werden viel reicher, die Armen ärmer. Nun dürfte ein Ausmaß erreicht worden sein, das die eher vorsichtigen Ökonomen des Währungsfonds aufschreckt.

Es dauert immer ein bisschen, bis die wirtschaftliche Einschätzung des IWF in den politischen "Mainstream" eingeht, aber sie findet statt.

Diese Debatte wird künftig - vor allem, weil der Währungsfonds die Industrieländer kritisiert - die politische Debatte in Europa beeinflussen und verändern. Die Maastricht-Kriterien (also Höhe von Defizit und Verschuldung) wurden zum Dogma erhoben. Ein Euro-Land kann zwar problemlos 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit ausweisen, aber Budgetdefizits gehen gar nicht. Die Einseitigkeit dieser Betrachtung beginnt sich zu rächen. Die global-steuerlichen Möglichkeiten des Kapitals verschärfen die Ungleichheit noch. Der IWF sieht das als Problem. Die EU wäre gut beraten, das auch zu tun.