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Vertrag steht, Tauziehen geht weiter

Von Martyna Czarnowska

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Der Einklang zwischen den Parteien zum EU-Reformdokument war in Polen nur von kurzer Dauer. | Die Franzosen machten diesmal keine Probleme. Sie ließen die Bevölkerung erst gar nicht abstimmen, die noch vor knapp drei Jahren Nein gesagt hatte. Die Iren haben zwar im Frühsommer ein Referendum. Aber sollte das Ergebnis ein negatives sein, kann das Volk nochmals zu den Urnen gerufen werden. Schwierigkeiten gibt es jedoch bei den Polen.


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Die EU-Verfassung ist tot, nachdem sie bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt worden war. Der nachfolgende EU-Reformvertrag lebt - noch. Um seine Ratifizierung ist in Polen heftiger Streit entbrannt.

Ein Referendum dazu, das bis jetzt nur in Irland angesetzt ist, war in Polen nicht geplant. Doch ausgeschlossen ist es nicht mehr. Wenn eine Ratifizierung des Vertrags im Parlament nicht möglich sei, könnte das Volk abstimmen, meint nun auch Premier Donald Tusk. Denn die mittlerweile oppositionelle Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski wollte das Ratifizierungsgesetz bisher nicht billigen.

Dabei war es Kaczynski - bis Herbst des Vorjahres selbst Premier -, der gemeinsam mit seinem Bruder und Polens Staatspräsident Lech Kaczynski den Vertrag von Lissabon ausverhandelt hatte. Sie haben um einen Abstimmungsmechanismus gefeilscht, der Polen die Blockade gewisser EU-Beschlüsse ermöglicht. Auch wollte Warschau die Grundrechtecharta nicht für sich gelten lassen. Den gleichen Standpunkt vertrat im übrigen Tusks nun regierende Bürgerplattform.

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Doch die Einmütigkeit währte nicht lange. Nicht zuletzt um rechtsgerichtete EU-skeptische Wähler zu umwerben, will Kaczynskis immer mehr an Beliebtheit einbüßende Partei Härte demonstrieren. Die jetzige Regierung wolle den EU-Vertrag aufweichen und Polens Position schwächen, heißt es aus den PiS-Reihen. Deswegen forderte die Oppositionspartei eine Präambel zum Ratifizierungsgesetz. Darin soll fixiert werden, dass Änderungen beim Reformvertrag nur möglich sind, wenn sich Präsident, Regierung und Parlament darauf verständigt haben. Nur so könnten die Ausnahmen bei der Grundrechtecharta auch weiterhin garantiert bleiben.

Unterstützung erhielt PiS vom Staatspräsidenten. Und allein die bot Anlass genug für beträchtlichen Aufruhr. Die Fernsehansprache nämlich, die Lech Kaczynski in der Vorwoche an die Bevölkerung richtete, hatte eine bisher nie dagewesene Form. Unterlegt war sie mit Musik; hineingeschnitten waren Bilder einer Trauung zweier Männer in Kanada und eines Auftritts der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit Erika Steinbach, der Vorsitzenden des deutschen Bundes der Vertriebenen.

Die Botschaft: Homosexuellen-Ehe und Gebietsansprüche Deutscher auf polnischem Boden - das drohe, wenn Polen beim EU-Vertrag nicht standhaft bleibe. Davon, dass das Dokument in erster Linie auf anderes abzielt - etwa die Strukturen der EU zu reformieren und die Entscheidungsfindung etwas zu erleichtern - war nicht die Rede.

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So einfach lassen sich Polen aber nicht Angst einjagen. Zwei Drittel sehen keine Gefahr der Übernahme polnischer Gebiete durch Deutsche und der Einführung der Homosexuellen-Ehe, ergab eine Umfrage für die Tageszeitung "Gazeta Wyborcza". Und 65 Prozent sprechen sich für die Annahme des EU-Reformvertrags aus. Lediglich 15 Prozent der Befragten wären dagegen.

Eine andere Umfrage zeigte, dass selbst unter PiS-Sympathisanten jeder Dritte für das Dokument stimmen würde. 17 Prozent wären dagegen, ebenso viele wissen nicht, was sie tun würden, berichtet die Zeitung "Rzeczpospolita". Allerdings würde ein Drittel der PiS-Wählerschaft gar nicht zum Referendum gehen.

Die Beteiligung an einer möglichen Volksabstimmung könnte denn auch die größte Sorge der Politiker werden. Sie müsste mindestens 50 Prozent betragen, damit der Urnengang gültig ist. Ob dies erreichbar wäre, ist völlig unklar.

Vielleicht einigen sich Premier und Präsident aber doch. Am heutigen Mittwoch wollen sie bei einem Treffen zumindest darüber reden.