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Verträglichkeitstest statt Leidensweg

Von Eckart Granitza

Wissen

Nahezu alle Zahn- und Knochen-Implantate sind aus Titan hergestellt. | "Überentzündlichkeit" lässt sich jetzt sicher prognostizieren. | Berlin. Schon seit mehr als zwei Jahrzehnten wurde Titan als ideales Material für Zahnimplantate und zunehmend auch bei orthopädischen Implantaten angesehen, da man davon ausging dass es keine Allergien auslöst. Heute weiß man, dass Titan bei mehr als 15 Prozent der Bevölkerung durchaus immunologische Reaktionen hervorruft. Bisher gab es aber keine Möglichkeit, diese "Überentzündlichkeit" bei Patienten sicher zu prognostizieren. Nun zeigte eine neue Studie, dass solche Patienten vorher durch einfache Labortests herausgefiltert werden können. Diese "Überentzündlichkeit" ist somit ein unabhängiger Risikofaktor, den der Zahnarzt bei der Auswahl des Materials und bei seiner Therapieplanung berücksichtigen sollte, um Patienten lange Leidenswege zu ersparen.


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"In der Tat ruft Titan aus rein immunologischer Sicht keine Allergien hervor", berichtet Sabine Schütt vom Berliner Institut für Medizinische Diagnostik. Aber die Aussage "keine Allergie" ist bei weitem nicht mit "keine Unverträglichkeit oder absolute Biokompatibilität" gleichzusetzen. "Sicher verzeichnen wir bei Titanimplantationen hohe Einheilquoten. Dennoch gibt es immer wieder Patienten, bei denen es zu Unverträglichkeiten kommt, die zu einer verzögerten Einheilung oder in einigen Fällen sogar zum fehlenden knöchernen Einwachsen des Implantates führen." Bei der Entwicklung eines Labortestes durch das Berliner Institut für Medizinische Diagnostik zeigte sich, dass sogar mehr als 15 Prozent der Patienten bei der Versorgung mit Titan Entzündungen am Implantat, oder auch an anderen Stellen des Körpers, entwickeln. Ein alarmierendes Ergebnis, werden doch heutzutage weit über 90 Prozent der Zahnimplantate und mehr als 95 Prozent aller Knochenimplantate aus Titan hergestellt.

Die Leiterin der Studie, die Zahnärztin Elisabeth Jacobi-Gresser aus Mainz, hat Patienten, die mit den Jahren sogar schon drei oder vier ihrer Implantate aus Titan verloren haben. So verlor eine Patientin etliche Titanimplantate durch Entzündungen rund um das Implantat, eine sogenannte Periimplantitis. Bei einem anderen Patienten musste ein Titanimplantat entfernt werden, weil es sich in der Einheilphase nicht fest im Knochen integrierte.

"Wie eine Blutuntersuchung im Labor des Berliner Institutes für Medizinische Diagnostik ergeben hat, gehören beide Patienten zu den sogenannten genetischen High-Respondern, was bedeutet, dass die Betroffenen auf einen Reiz, so auch auf ein Titanimplantat, mit einer erhöhten Entzündungsantwort im Körper reagieren", erklärt Jacobi-Gresser. "In diesen Fällen sollte natürlich kein reines Titanimplantat verwendet werden, sondern ich würde da ein zirkonbeschichtetes Titanimplantat oder ein Vollzirkonimplantat empfehlen."

Zwei Laborverfahren möglich

Um die potenzielle Reaktion auf Titanmaterialien eines Patienten vor aufwendigen Versorgungen mit diesem Material im Labor abzuklären, stehen zwei Laborverfahren zur Verfügung, mit deren Hilfe heute auf eine Titanunverträglichkeit getestet werden kann: Wird Titan in den Körper eingebracht, oxidiert es permanent. Die etwa bakteriengroßen Titanoxidpartikel werden dann vom Immunsystem als fremd angesehen und von den sogenannten Makrophagen (Fresszellen) gefressen.

"Im Zuge dieser Makrophagen-Tätigkeit werden aber leider auch bestimmte Botenstoffe ausgeschüttet, nämlich Interleukin-1 und TNF-alpha", erklärt Sabine Schütt. Die haben die Aufgabe, bei Infektionen mit Viren oder Bakterien eine schnelle Entzündung hervorzurufen, um diese zügig zu bekämpfen. Während eine starke Entzündungsantwort auf solche Eindringlinge wie Bakterien und Viren gewollt und biologisch sinnvoll ist, ist die Reaktion der Fresszellen auf die eigentlich harmlosen Titanpartikel störend und schädlich. "Bei Menschen mit einer entsprechenden genetischen Veranlagung kommt es bei der Titanoxid-Fressaktion zu einer deutlich erhöhten Ausschüttung dieser entzündungsfördernden Botenstoffe - und das kann dann zu einer Reihe unerwünschter gesundheitlicher Folgen wie zum Beispiel entzündlichen Dauerreaktionen führen", sagt Schütt.

Diese genetische Veranlagung kann mit einem Gentest nachgewiesen werden. In einem zweiten Test werden die Fresszellen des Patienten im Labor mit Titanoxidpartikeln zusammengebracht und die dabei freigesetzten Mengen an Botenstoffen gemessen. Auch so lässt sich nachweisen, ob die Fresszellen des Patienten unerwünscht heftig auf Titan reagieren. Die Kombination dieser neuen Untersuchungsmethoden erlaubt eine sichere Austestung der potenziellen Titanunverträglichkeit, bevor man mit kostenintensiven und aufwendigen Titanimplantationen beginnt.

Kosten liegen bei 100 Euro

"In jedem Fall würde ich, bevor ich mir überhaupt ein Implantat einsetzen lasse, einen Verträglichkeitstest machen", rät Jakobi-Gresser. "Die Kosten dafür liegen nur bei etwa 100 Euro und sind angesichts der hohen Kosten, die bei aufwendigen Zahnsanierungen anfallen, eine sinnvolle Investition. Man kann sich eine Menge Schmerzen und Unannehmlichkeiten dadurch ersparen." Viele private Kassen übernehmen für den Test sogar schon die Kosten.

Auch in der Orthopädie sind Probleme mit Titanimplantaten bekannt. Der Hamburger Sportmediziner Til Steinmeier hat zum Beispiel einen Patienten, der einen Knochentumor im Oberschenkel hatte und den halben Oberschenkel durch Titan ersetzt bekam. Nach einigen Jahren stellte sich eine Titanunverträglichkeit ein, und nun leidet der junge Mann unter großen Entzündungsherden und enormen Schmerzen. "Wenn es erst einmal so weit kommt, ist es unheimlich schwer, solchen Patienten zu helfen", sagt Steinmeier. "Deshalb ist es generell nicht in Ordnung, wenn den Patienten Werkstoffe wie Titan einfach so eingesetzt werden, ohne sie vorher auf eine Unverträglichkeit geprüft zu haben. Denn auch andere Werkstoffe wie zum Beispiel Polyethylen, mit dem Titanimplantate oft beschichtet werden, können bei manchen Patienten starke Unverträglichkeitsreaktionen hervorrufen."