Zum Hauptinhalt springen

Vertrauensentzug

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Das Zu- und Vertrauen in die Demokratie ist beschädigt. Dagegen lässt sich etwas tun.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Das Vertrauen in das österreichische politische System ist sehr stark zusammengebrochen." So fasst Meinungsforscher Günther Ogris den Zustand unserer Demokratie zusammen. In der Tendenz steht Österreich damit nicht allein da. Die zwangsläufig mit dem Kampf gegen die Pandemie einhergehenden Fehler setzen jedem Regierungssystem zu, das mit den Stimmungen und Interessen der Bürger gekoppelt ist.

Doch Ansehen und Vertrauen in Österreichs Politik stehen unter verschärftem Druck. Seit Jahren kommt das Land nicht mehr aus dem Zustand der Dauererregung heraus. Externe Entwicklungen wie die Flüchtlingskrise 2015 und ab März 2020 dann die Pandemie werden dabei von hausgemachten Krisen wie der Ibiza-Affäre verstärkt, die zum Sturz der türkis-blauen Bundesregierung führte. Und dann gibt es noch die Lawine an strafrechtlichen Ermittlungen gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz, dessen engeres Umfeld und die ÖVP selbst.

Soweit die Fakten. Doch damit nicht genug: Deren zersetzende Wirkung wird noch durch den permanenten Versuch verstärkt, die allenfalls durchschnittliche Leistungsbilanz durch maximierte Erwartungen zu übertünchen. Alles neu und viel besser zu machen: Das war die Erzählung der Neuen ÖVP. Der Kontrast zur Realität könnte nicht größer sein.

Doch wie fast immer sollte man sich hüten, es sich bei der Erklärung komplexer Phänomene zu einfach zu machen - oder politisch zu billig. Dass Politik das Blaue vom Himmel verspricht und die Wirklichkeit schönt, ist so, seit es zum Regieren ein zumindest rudimentäres Einverständnis der Regierten benötigt. Die meisten Menschen wissen, wie sie die Versprechungen der Politik einzuordnen haben. So viel Urteilskraft darf man mündigen Menschen getrost zutrauen.

Der Vertrauensverlust in die heimische Politik ist das eine. Dieser kann, muss aber nicht von Dauer sein. Neue Gesichter, Lernen aus Fehlern und eine Streitkultur, der die Menschen abnehmen, dass es dabei um ihre Sorgen und Anliegen geht und nicht um die der Politik, können den Abwärtstrend umkehren.

Mehr Grund zur Sorge gibt ein Blick auf die Demokratie im größeren Zusammenhang: Deren Wesenskern lag stets im gewaltlosen Ausgleich entgegengesetzter Interessen mit den Mitteln von Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz. So lange dabei materielle Interessen dominierten und sich auf diese Weise auch Anerkennung erwerben ließ, funktionierte das leidlich. Doch wenn Fragen der sozialen und persönlichen Moral ins Zentrum der Auseinandersetzung rücken, gerät die Demokratie unter Stress. Über gut und böse lässt sich nicht abstimmen.