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Vertraulichkeit bedroht

Von Christa Karas

Wissen

Ökonomisierung und Datenbanken werden zur Falle. | Recht auf Intimität wird überlagert und ausgehebelt. | Wien. Patienten, die dem Arzt nicht mehr über alle ihre Probleme Auskunft geben und deshalb nicht die notwendige Behandlung bekommen: So sieht der immer realistischer werdende Alptraum der Mediziner aus, denn sie können - wie der Österreichische Hausärzteverband (ÖHV) am Mittwoch in Wien warnte - ihren Patienten in Zukunft nicht mehr garantieren, dass deren Befunde und Krankengeschichten vertraulich behandelt werden und nicht in fremde Hände kommen. "Wir sehen im Gesundheitssystem eine gefährliche Entwicklung, die in krassem Widerspruch zum Datenschutz und zur Menschenrechtskonvention steht", warnt ÖHV-Präsident, Dr. Christian Euler.


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Gesundheitsakte

Konkrete Ursache für die ernsten Befürchtungen sind die Ökonomisierung des Gesundheitswesens und das kaum zu kontrollierende Wachstum von Registern und Datenbanken - hier vor allem die geplante Einführung der Elektronischen Lebenslangen Gesundheitsakte (Elga), die am Recht des Individuums auf Intimität im Gesundheitswesen nagt. Der ÖHV-Präsident: "Schon jetzt besteht die gesetzliche Möglichkeit, zwischen Gesundheitsdienstleistern automatische Daten auszutauschen. Clemens Auer, Elga-verantwortlicher Sektionsleiter im Gesundheitsministerium, hat es nicht nur öffentlich gesagt, sondern auch auf die Wand projiziert: Die besondere Intimität des Arzt-Patienten-Verhältnisses ist in Zeiten von E-Health zu hinterfragen."

Strikte Vertraulichkeit war bisher die Basis des Arzt-Patient-Verhältnisses: Patienten müssen mit den behandelnden Ärzten offen sprechen können. Würden Patienten solche Informationen zurückhalten, weil sie Angst haben müssen, ihre Intimsphäre wird über unkontrollierte Kanäle gegenüber Behörden und Institutionen nicht geschützt, ist die Gesundheitsversorgung der österreichischen Bevölkerung ernsthaft in Gefahr.

Ganz besonders sind davon die Bereiche der Psychiatrie bzw. Psychotherapie und der Allgemeinmedizin betroffen. Eine der wesentlichsten Funktionen der Hausärzte ist die Betreuung und Versorgung chronisch Kranker. Rund fünf Prozent von diesen sind Diabetiker, 30 Prozent leiden an Krebs, rund die Hälfte hat im Laufe des Lebens Episoden psychischer bzw. psychosomatischer Beschwerden. In all diesen Fällen ist ein gesichertes Vertrauensverhältnis Arzt-Patient von entscheidender Bedeutung für den Behandlungserfolg.

Bürokratisierung

Das Vertrauen steht nun in Frage. Dabei geht es laut den Ärzten und Hans Zeger, Obmann der ARGE-Daten, rein um die Kontrollwünsche von Krankenkassen und Behörden. Zeger: "Das Elga-System ist ein reines Controlling-System für die Krankenkassen. Der gute Arzt wird der sein, der das System durchschaut, der mit dem Call-Center - der Arzneimittelbewilligung - richtig umgeht, die richtigen Formulare verwendet, der im Durchschnitt läuft, der nicht auffällt." Die anderen Mediziner oder spezielle Patienten könne man sich dann leicht "vorknöpfen". Sprichwörtlich "übrig" bleiben würden jene Ärzte, die Kranke behandelten, bevor sie jede Menge Daten angelegt hätten.

Entsprechende Auswüchse gibt es schon jetzt, so Euler. Ein Beispiel: Um eine Patientenbetreuung verrechnen zu können, muss der behandelnde Arzt für die Kasse eine Diagnose eintragen. Da es nur Geld für ein Ergebnis (Diagnose) gibt und nicht für die Leistung (Betreuung) werden "Verdachtsdiagnosen" gemeldet. Werden diese zentral gespeichert und ausgewertet, ergeben sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur ein falsches Bild des einzelnen Behandlungsfalles, sondern auch der Behandlungskosten. Über den Gesundheitszustand der Österreicher ließen sich daraus jedenfalls keine seriösen Schlüsse ziehen.

Viele "Interessenten"

Ein ungleich höheres Gefahrenpotenzial sehen die Hausärzte indessen darin, dass aus der elektronischen Übermittlung wichtiger Daten ein für den Einzelnen brisanter Datenpool entstehen könnte, auf den viel zu viele "Interessenten" zugreifen könnten.