Zum Hauptinhalt springen

Vertuscht und verkauft

Von Alexander Dworzak

Politik

Islands konservativem Premier droht wegen zwei Skandalen die Abwahl. Die EU-feindlichen Linksgrünen könnten stärkste Partei werden.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Reykjavik/Wien. "Wiederherstellung der Ehre" nennt sich ein Gesetz in Island. Es dient der Reintegration eines Straftäters in die Gesellschaft, der dazu zwei "respektierte" Personen braucht, die für seinen Charakter bürgen. Benedikt Sveinsson verbürgte sich für einen Anwalt, der seine minderjährige Stieftochter über Jahre vergewaltigt hatte und dafür eine fünfeinhalbjährige Haftstrafe erhielt. Sveinsson ist Vater von Premier Bjarni Benediktsson. Der Regierungschef wusste von der Bürgerschaft - und schwieg. Auch Justizministerin Sigridur Andersen hatte Kenntnis - und schwieg gleichfalls.

Ausgerechnet Andersen plante eigentlich, das Gesetz abzuschaffen. Erst als die Vertuschung öffentlich wurde, geschah das. Der Fall symbolisiert die Verbindungen der Eliten auf der nur 330.000 Einwohner zählenden Insel. In einem Land, das seit Jahrzehnten maßgeblich von Benediktssons konservativer Unabhängigkeitspartei geprägt wird.

Deren Koalitionspartner "Strahlende Zukunft" entzog jedoch dem Premier das Vertrauen. Und so müssen die Bürger schon wieder zu den Urnen schreiten, fast auf den Tag genau ein Jahr nach der Parlamentswahl.

Seitdem läuft die Konjunktur unverändert gut, nur zwei Prozent sind ohne Job. Schattenseite: die Häuserknappheit. Sie ist neben der Finanznot bei Krankenhäusern und dem Straßenbau zentrales Wahlkampfthema.

Von vier Parlamentsparteien 2009 auf nunmehr acht

Geschadet hat Benediktsson auch, dass er 2008, als die drei größten Banken des Landes zusammenbrachen, Fondsanteile bei der Bank Glitnir verkauft hatte. Und zwar nur Stunden, bevor das Institut zwangsverstaatlicht wurde. Auch der Vater und der Onkel veräußerten ihre Anteile gerade noch rechtzeitig. Benediktsson war damals Mitglied im Wirtschafts- und Steuerausschuss des Parlaments und im Jahr der Bankenkrise regelmäßig mit Managern von Glitnir in Kontakt. Weitere Veröffentlichungen des Magazins "Stundin" verhinderte die Verwertungsholding der Bank mit einer einstweiligen Verfügung. Kritiker sehen auch darin ein Zusammenspiel der traditionellen Eliten.

Die Kalamitäten um Premier Benediktsson könnten die Linksgrünen unter Katrin Jakobsdottir an die Spitze bringen - erstmals seit 1944, als Island von Dänemark unabhängig wurde. Es wäre erst das zweite Mal in der Geschichte des Landes, dass eine Partei links der Mitte eine Parlamentswahl gewinnt. 2009 ging die Sozialdemokratische Allianz eine Koalition mit den Linksgrünen ein. Damals zogen nur vier Fraktionen in das Parlament (Althing) ein. Nun liegen gleich acht Parteien laut Meinungsumfragen über der Fünf-Prozent-Hürde.

Die Krise von 2008 führte zur Zersplitterung der Parteienlandschaft. Völlig neue Gruppierungen entstanden. Und die Fortschrittspartei, einstmals zweite große Kraft rechts der Mitte, spaltete sich. Gewinnt Jakobsdottir tatsächlich die Wahl, gelten Sozialdemokraten und Piratenpartei als bevorzugte Partner. Anders als beim bisher letzten linken Sieg wäre diesmal keine proeuropäische Agenda zu erwarten. Die 2010 gestarteten Beitrittsverhandlungen Islands zur EU wurden von der rechtsliberal-konservativen Nachfolgeregierung 2013 ausgesetzt. Die Linksgrünen sind gegen Ungleichheit und Umweltverschmutzung - und einen Beitritt zur EU. Lösen die Linksgrünen die Unabhängigkeitspartei ab, wird in dieser Frage die bisherige Regierungspolitik fortgesetzt.