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Verunsicherte Nation

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Verunsicherung: Müsste man die derzeit dominierende Gefühlslage in ein Wort fassen, es wäre dies ein heißer Kandidat. Wie auch Sorge oder Angst. Wut und Hass gibt es auch, aber beide prägen trotz anderslautender Schlagzeilen noch lange nicht unseren Alltag. Und von den Optimisten behauptet das erst gar niemand.

Zuflucht vor Unsicherheiten alltäglicher wie existenzieller Natur suchen wir bei Ritualen. Sie können Sicherheit geben, wenn die Welt aus den Fugen scheint. Nationalfeiertage sind ein solches Ritual.

Österreich feiert seinen an diesem Montag. An solchen Feiertagen versucht eine Gemeinschaft unter Rückgriff auf die Vergangenheit, die Idee einer Zukunft für die Gegenwart zu beschwören. Natürlich alles sehr konstruiert und von oben orchestriert und gerade deshalb so wirkmächtig.

In schlechten Zeiten sind nicht nur die Kirchen voll, sondern auch das Pathos bei rituellen Beschwörungen der nationalen Zusammengehörigkeit groß. Das sollte es eigentlich einfacher machen, solchen nationalen Beschwörungsritualen Leben einzuhauchen. Die Betonung eines vermeintlich wohlvertrauten "Wir" funktioniert in der Not ja besonders gut.

Allerdings ist dieses "Wir" jenseits von Familie und Freunden stets prekär. 1965 hat sich die Politik eingebildet, der Beschluss des Neutralitätsgesetzes am 26. Oktober 1955 würde als Fundament für den Nationalfeiertag taugen. Damals war es der größte gemeinsame Nenner des jungen Staats, neutral zu sein. Das reicht als identitätsstiftender Kitt heute längst nicht mehr aus. Das "Wir" braucht eine neue Grundierung.

Wie schwer das zu leisten imstande ist, das hat etwa der Wiener Landtagswahlkampf erahnen lassen. Es verlangt einem viel Fantasie ab, sich vorzustellen, wie die beiden Lager, die sich noch im Wahlkampf unversöhnlich gegenübergestanden sind, den Nationalfeiertag einträchtig miteinander begehen. Der Konflikt über den richtigen Umgang mit der aktuellen Flüchtlingskrise, so ist zu befürchten, ist nicht nur inszeniert, er spaltet die Gemeinschaft tatsächlich.

Umso wichtiger wird es sein, über Institutionen zu verfügen, die imstande sind, den verunsicherten Menschen das Gefühl von Zusammengehörigkeit und Solidarität zu vermitteln. Wer vermag das in Österreich? Das wäre eine lohnende Debatte. Zum Beispiel als Leitmotiv für die Bundespräsidentschaftswahlen.