Statistisch gesehen ist Österreich nicht wirklich unsicherer geworden. Das Gefühl von Sicherheit schwindet aber.
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Wien. Eine junge Studentin ist mit ihrer Freundin in der Stadt unterwegs. Gegen ein Uhr nachts sucht sie eine öffentliche Toilette am Wiener Praterstern auf. Drei junge Männer folgen ihr und vergewaltigen sie brutal in der Kabine. Sie sind afghanische Asylwerber. Einen Monat später wird eine Frau auf dem Brunnenmarkt von einem Obdachlosen, der an psychotischen Störungen leidet, mit einer Eisenstange attackiert und getötet. Der Mann war mehrfach vorbestraft und amtsbekannt, wurde aber nicht in Gewahrsam genommen.
Hinzu kommen fast tägliche Meldungen von offenem Drogenhandel und gewalttätigen Auseinandersetzungen entlang der sogenannten U6-Drogenroute oder an Orten, die neuerdings als "Hotspots" bezeichnet werden, wie der Praterstern oder der Brunnenmarkt. Begleitet werden diese Meldungen von einem wachsenden Gefühl der Unsicherheit. Vom Gefühl, dass man sich, vor allem als Frau, nicht mehr zu jeder Tageszeit an jedem Ort in der Stadt sicher und frei bewegen kann.
Und: Es manifestiert sich zunehmend das Bild des kriminellen männlichen Migranten in der öffentlichen Wahrnehmung. Aber sind nun Österreichs Straßen tatsächlich gefährlicher geworden? Und sind junge muslimische Männer besonders auffällig? Oder klafft eine Lücke zwischen der gefühlten und der tatsächlichen Unsicherheit?
Schwere Delikte sinken
Ein Blick auf die Kriminalstatistik der vergangenen Jahre und auf die Erfahrungswerte von Polizei und Strafverteidigern zeigt: Es ist kompliziert. Tatsächlich ist die Gesamtkriminalität seit Jahren rückläufig, wie der aktuelle Sicherheitsbericht des Innenministeriums zeigt. 2015 verzeichnete das Innenressort einen Rückgang an Anzeigen um 1,9 Prozent gegenüber 2014. Waren 2006 noch 588.229 Kriminalfälle angezeigt worden, waren es im Vorjahr nur mehr 517.870. Gleichzeitig ist die Aufklärungsquote gestiegen; und zwar um 38,8 Prozent gegenüber 2006.
Sieht man sich auch die derzeit öffentlich diskutierten Straftaten im Detail an, sind diese ebenfalls rückläufig. Delikte gegen die sexuelle Integrität von Menschen, dazu zählen Vergewaltigung oder sexuelle Belästigung, waren bis zum Vorjahr ebenfalls rückläufig, wie Zahlen aus dem BMI zeigen. 2015 wurden gegenüber 2014 um 1,3 Prozent weniger sogenannte strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung begangen. Ähnlich ist die Entwicklung, zumindest bis zum Vorjahr, bei Körperverletzungsdelikten.
"Statistisch gesehen ist Österreich nicht gefährlicher geworden", sagt Manfred Reinthaler, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Wiener Polizei, im Gespräch. Vor allem, was die Anzahl der schwerwiegenden Delikte wie Vergewaltigung, etwa durch Fremde, oder schwere Körperverletzung angehe.
"Kriminalitätsfurcht hängt nicht eins zu eins mit der Kriminalitätsrate zusammen", sagt die Kriminalsoziologin Veronika Hofinger zur "Wiener Zeitung". So würden junge Männer am ehesten Opfer von körperlicher Gewalt. Die meiste Angst davor hätten aber ältere Frauen. Was sich aus Sicht Hofingers in der jüngsten Vergangenheit geändert hat, ist der öffentliche und mediale Umgang mit Verbrechen, die im öffentlichen Raum geschehen sind. "Die Silvesternacht in Köln hat hier zu einer Wende geführt", sagt Hofinger.
Seitdem werde nicht nur mehr berichtet, sondern auch tendenziell mehr angezeigt, weil die Öffentlichkeit sensibilisierter auf sexuelle Übergriffe reagiert.
Eine Untersuchung zweier ORF-Journalistinnen von Presseaussendungen der Wiener Polizei aus dem Jahr 2014 zeigt: Nur jede 43. Vergewaltigung wird an die Medien gemeldet, aber jeder fünfte Handtaschenraub. Das ändert sich allmählich. Laut Hofinger hat der Fall eines im Hallenbad vergewaltigten Buben durch einen irakischen Asylwerber zu einer offensiveren Kommunikationsstrategie seitens der Polizei geführt. Der Fall wurde erst einen Monat später, nach der Silvesternacht in Köln, viral, und die Wiener Polizei musste sich dem Vorwurf stellen, diesen vertuscht zu haben.
Leichtere Delikte steigen heuer
Konkrete Zahlen aus dem laufenden Jahr gibt es nicht. Die Kriminalstatistik wird nur einmal jährlich veröffentlicht. Davor werden keine Zahlen nach außen getragen. Aber es gibt zumindest Einschätzungen und Erfahrungswerte zu 2016, wie Reinthaler bestätigt.
Die Anzahl schwerer Gewalttaten wie Vergewaltigung, Totschlag und schwere Körperverletzung sind laut Reinthaler auch heuer weiterhin rückläufig. In Wien habe es heuer drei schwere Fälle von Vergewaltigung gegeben. "Vergewaltigungen durch Fremde erzeugen große Angst. Da nützen statistische Wahrscheinlichkeiten wenig", erklärt Hofinger.
Nur die intensivere Berichterstattung greift als Erklärung für das steigende Unsicherheitsgefühl aber zu kurz. Reinthaler bestätigt, dass im laufenden Jahr die Anzahl der Einsätze pro Tag leicht gestiegen sei. Bei weniger schwerwiegenden Delikten verzeichnet die Polizei in allen größeren Städten einen Anstieg, ohne diesen vorerst in Zahlen fassen zu wollen. Dazu gehören etwa (leichte) Körperverletzung, Drogendelikte und sexuelle Belästigung. "Hier merken wir heuer tatsächlich einen Anstieg", sagt Reinthaler.
Dass die sexuelle Belästigung in der Kriminalstatistik gerade steigt, hat drei Gründe: Zum einen wurde Paragraf 218 des Strafgesetzbuches - der sogenannte Grapsch-Paragraf - reformiert. Dinge wie eben Pograpschen sind neuerdings strafbar und können angezeigt werden. Außerdem gehen Frauen sensibler mit dem Thema um, und die Schwelle, sexuelle Belästigung anzuzeigen, sinkt.
Und drittens: das Täterprofil. "Dass es im Zusammenleben zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft auch zu Konflikten kommt, will ich keinesfalls abstreiten", sagt Hofinger. Damit nimmt sie Bezug auf die Flüchtlingskrise aus dem Vorjahr, im Rahmen derer auch junge Männer aus religiös und patriarchal geprägten Kulturkreisen nach Österreich gekommen sind.
"Eines vorweg: Die Österreicher sind nach wie vor mit Abstand die Nummer eins bei Straftaten", sagt Reinthaler. Die meisten Delikte werden von österreichischen Staatsbürgern begangen. Und: "Die Syrer sind komplett unauffällig." Diese Gruppe komme in der Kriminalstatistik praktisch nicht vor. Und viele Gewaltdelikte richten sich quasi gegen die eigene Gruppe, also Raufereien im Asylheim oder unter Drogendealern.
Probleme mit "Macho-Kultur"
Im Vorjahr waren 37 Prozent der Tatverdächtigen in Österreich Ausländer. 15,7 Prozent davon waren Asylwerber, 28,6 Prozent waren arbeitslos. Laut der "Presse am Sonntag", die sich auf Daten aus dem Bundeskriminalamt beruft, ist inzwischen jeder dritte Tatverdächtigte kein Österreicher. Fast ein Drittel der strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität werde von ausländischen Staatsbürgern begangen.
Nicht ganz unproblematisch sei die Gruppe der Afghanen und der Tschetschenen. Und auch beim offenen Drogenhandel auf der Straße ist die Gruppe der Schwarzafrikaner und zunehmend der Algerier und Marokkaner überrepräsentiert. Der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung macht 13 Prozent aus. Strafbares und kriminelles Handeln allein an der Herkunft festzumachen, greift zu kurz. Migranten sind überdurchschnittlich oft von Arbeitslosigkeit oder Geldmangel betroffen.
Und da ist dann noch die Sache mit den Werten und der Ehre. "Uns muss klar sein, dass die Menschen nicht ihr ganzes Wertesystem über Bord werfen, wenn sie zu uns kommen", sagt der Strafverteidiger Rudolf Meyer. Bei ihm landen die "harten Jungs", also Drogendealer, Gewalt- und Sexualstraftäter.
Junge Männer, die aus großteils nicht funktionierenden Staaten, die stark muslimisch geprägt sind, nach Österreich flüchten, haben laut Meyer oft ein ganz anderes Frauenbild; das der (verschleierten) Heiligen und (unverschleierten) Hure. Die sexuelle Freizügigkeit und weibliche Selbstbestimmung würden viele falsch interpretieren. Und: "Die Ehre spielt bei den Afghanen oder Tschetschenen eine sehr große Rolle. In unserem Rechtssystem existiert diese Kategorie aber nicht." Interessant sei, dass Musliminnen praktisch nie straffällig würden, sagt Meyer.
Die "Macho-Kultur", zu der auch die Ehrenverteidigung gehört, sei bei jungen Muslimen stark ausgeprägt. "Er (der Asylwerber, Anm.) kommt mit nichts zu uns. Er hat nicht mehr als seinen Stolz und seine Ehre." Und weiter: "Da reicht es nicht, ihnen bei der Ankunft eine österreichische Wertefibel in die Hand zu drücken, und gut ist’s", so Meyer.