Mutmaßlicher Terrorist fasst siebenjährige Freiheitsstrafe aus. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
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Wien. Ein Ventilator. Zwei mobile Klimaanlagen. Komplett herabgelassene Jalousien. Mit allen Mitteln kämpfte man am Donnerstag im Saal 303 des Wiener Straflandesgerichts gegen die Hitze. Temperaturen jenseits der 30 Grad waren im Juni bei Messungen des Arbeitsinspektorats in mehreren Verhandlungssälen nachgewiesen worden. Am Donnerstag blieb es dank der massiven Gegenmaßnahmen einigermaßen erträglich.
Einen ganz anderen Kampf führte am Donnerstag der Angeklagte I. Seit April 2016 sitzt er in Untersuchungshaft. Im Laufe des Tages sollte sich entscheiden, ob er noch viele weitere Jahre in Haft bleiben sollte oder wieder in Freiheit leben würde können. I. wird von der Staatsanwaltschaft Wien die Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung "Emirat Kaukasus" und mehrfacher Mord im Rahmen dieser Vereinigung zur Last gelegt. Der gebürtige Tschetschene soll mit mehreren Kämpfern im Sommer 2012 versucht haben, von Georgien aus nach Russland einzudringen, um dort Terrorakte zu verüben. Erste Vorbereitungen dafür soll er bereits in Wien getroffen haben.
Laut Anklage scheiterte der Versuch, weil die Gruppe in ein Feuergefecht mit georgischen Sicherheitskräften verwickelt wurde. Drei georgische Soldaten und sieben mutmaßliche Terroristen sollen dabei ums Leben gekommen sein. Am Donnerstag ging der Geschworenenprozess gegen I., der bereits Anfang Juni gestartet wurde, in den dritten und letzten Verhandlungstag. I. - er hat 2009 Asyl in Österreich erhalten - zeigte sich zu den Vorwürfen nicht geständig.
Rechtshilfeersuchen erfolglos
Dem Angeklagten (Verteidiger: Wolfgang Blaschitz) spielte das Verhalten der georgischen Behörden in die Hände. Ein von der Staatsanwaltschaft im Mai 2017 an die Georgier übermitteltes Rechtshilfeersuchen blieb unbeantwortet. Auch der Druck eines in Georgien stationierten österreichischen Kontaktbeamten bewirkte nichts. Sieben georgische Zeugen, die Staatsanwalt Leopold Bien vernehmen wollte, konnten so nicht befragt werden.
Die georgischen Behörden seien "ganz offensichtlich nicht bereit, das an sie ergangene Rechtshilfeersuchen zu erledigen", sagte der vorsitzende Richter, Andreas Böhm, am Donnerstag. Davon könne nicht ausgegangen werden, meinte hingegen Bien. Er beantragte die neuerliche Ladung der fehlenden Zeugen. Der Drei-Richter-Senat lehnte den Antrag ab. Regungslos und unaufgeregt beobachtete der ganz in schwarz gekleidete I. die mehrstündige und äußerst zähe Diskussion.
Verantwortung geändert
Gegen Ende der Verhandlung wurde es wieder lebhafter. Er sei kein Terrorist, sagte I. in seinem Schlusswort. "Wenn ich einer wäre, würde ich den Mut haben es zuzugeben." Aus Angst um sein Leben und das seiner Angehörigen habe er als Spitzel für den moskautreuen, tschetschenischen Präsidenten Ramzam Kadyrow gearbeitet. Er habe die russischen Behörden vor dem geplanten Grenzübertritt gewarnt und so die geplanten Terroranschläge verhindert, meinte der Angeklagte.
Diese Verantwortung widerspricht früheren Aussagen von I. Laut Ermittlern soll er damit geprahlt haben, dass es auf georgischer Seite wesentlich mehr Todesopfer gegeben habe. Die Geschworenen entschieden für und gegen den Angeklagten. Sie verurteilten ihn wegen der Mitgliedschaft in der Terrorvereinigung "Emirat Kaukasus" zu einer siebenjährigen Haftstrafe. Hinsichtlich der Mordvorwürfe sprachen sie ihn hingegen frei. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.