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Verwehrte Trauer

Von Anton Silhan

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In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen fand das Schicksal des Soldaten Anthelme Mangin große Beachtung in der französischen Öffentlichkeit: Er kehrte 1918 aus deutscher Kriegsgefangenschaft zurück - jedoch ohne jegliche Erinnerung an seine Vergangenheit.

Der deutsch-französische TV-Sender arte strahlte gestern die Dokumentation "Der Soldat, der sein Gedächtnis verlor" von Joel Calmettes über dieses geschichtliche Phänomen aus (zum "Tag des Waffenstillstands" am 11. November 1918, in Frankreich immer noch ein bedeutender Gedenktag).

Alle Zeitungen druckten seinerzeit das Porträt von Monsieur Mangin. Sein Schicksal inspirierte immer wieder Dramatiker und Filmemacher, u. a. auch Jean Anouilh. Mangin plötzliches Auftauchen, er wurde auch der "unbekannte lebende Soldat" genannt, fiel in eine Zeit von großem Schmerz und Ungewissheit: 300.000 Familien hofften verzweifelt auf die Rückkehr ihrer im Krieg verschollenen Angehörigen.

Unzählige Mütter, Väter, Brüder, Schwestern, Söhne und Töchter wollten Mangin ungeachtet seines Aussehens, seines Alters und seines Bildungsniveaus als einen der Ihren erkennen; einige Familien gingen dafür sogar vor Gericht.

Nach jahrelanger Odyssee durch psychiatrische Anstalten starb Anthelme Mangin 1942 einsam und in völliger Armut. Der historische Fall hat aktuelle Parallelen, denn bis heute wird weltweit vielen Angehörigen durch Ungewissheit über das Schicksal ihrer Lieben das Trauern verwehrt.