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Verwirrende Strategie an der Seidenstraße

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

US-Präsident Barack Obama nimmt sich zu wenig Zeit, das Wesentliche des Pakistan-Afghanistan-Problems einer mittlerweile skeptischen amerikanischen Öffentlichkeit zu erläutern.


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Die jüngste Diskussion in Washington über die US-Strategie zu Afghanistan und Pakistan verdreht die Fakten: In diesem Krieg geht es weniger darum, die Taliban in Afghanistan militärisch zu besiegen, als mit Pakistan eine Einigung zu erzielen, den Taliban das Verschanzen dort unmöglich zu machen. Es handelt sich also um ein Pakistan-Afghanistan-Problem, nicht umgekehrt.

US-Präsident Barack Obama nimmt sich zu wenig Zeit, das Wesentliche dieses Konflikts einer mittlerweile skeptischen amerikanischen Öffentlichkeit zu erläutern. Einer der Gründe, der die Afghanistan-Strategie der USA so verwirrend macht: Die Menschen haben kein klares Bild vor Augen, was mit dem Mix aus militärischen und diplomatischen Aktionen erreicht werden soll. Aus politikwissenschaftlichen Studien wissen wir, dass verschwommenen Strategien die Unterstützung entzogen wird. Das war in Vietnam so und im Irak, und nun ist es in Afghanistan der Fall.

Die brauchbarste Analyse, die ich in letzter Zeit gesehen habe, ist "The Key to Success in Afghanistan: A Modern Silk Road Strategy" (Der Schlüssel zum Erfolg in Afghanistan: Eine moderne Seidenstraßen-Strategie) von der Johns Hopkins School for Advanced International Studies und dem Center for Strategic and International Studies. Die Seidenstraßen-Studie entwirft ein Bild, wie Afghanistan nach Beginn des US-Truppenabzugs im Juli 2011 aussehen könnte. Statt zu einem gesetzlosen "Wilden Osten" könnte sich Afghanistan zu einer wichtigen Handelsroute für Eurasien entwickeln und Wirtschaftswege in alle Richtungen bereitstellen.

Dafür müsste Afghanistan natürlich für mehr Straßen sorgen und sein Eisenbahn- und Pipelinenetz ausbauen. Eine hypothetische Karte des zukünftigen afghanischen Bahnnetzes zeigt Verbindungen zwischen dem Iran und Indien, Russland und Pakistan, China und dem Arabischen Meer. Auf dieser Karte sind die aufstrebenden Mächte dieser Region bereits verknüpft. Hier stellt Afghanistan keine Barriere dar, sondern einen Verkehrs- und Handelsknotenpunkt.

Zum ersten Mal hörte ich von der Seidenstraßen-Idee von Ashraf Ghani, einem früheren afghanischen Finanzminister. Er zog einen Vergleich zur Entwicklung der USA: Dem gesetzlosen "Wilden Westen" letztlich Sicherheit gebracht hatte der Bau der transkontinentalen Bahn 1869. Mit Handel und Wirtschaftswachstum kam auch Stabilität.

Asiatische Staaten verkennen keineswegs die Vorteile von funktionierenden Transitrouten durch Afghanistan. In die Ringstraße, die Afghanistans größte Städte verbindet, und andere Straßenprojekte steckten die USA seit 2002 schon 1,8 Milliarden Dollar, der Iran hat 220 Millionen Dollar investiert. China hat bereits Straßen gebaut, die den Westen des Landes mit Afghanistan verbinden, und arbeitet an weiteren Verkehrsprojekten. Und dann ist da noch die Energiewirtschaft: Die Studienautoren merken an, dass die Asian Development Bank prüft, eine Gaspipeline um 7,6 Milliarden Dollar zu finanzieren, die Turkmenistan mit den energieärmeren Ländern Afghanistan, Pakistan und Indien verbinden soll.

Aber wozu über neue Verkehrswegen und Pipelines reden, solange Krieg herrscht? Viele haben diesen Krieg ohne klare Strategie bereits satt. Es sollte weniger über das Erobern und Halten von Gebieten geredet werden und mehr über Straßen und Schienen. Vielleicht versteht die Bevölkerung - in den USA, Pakistan, Indien und China - dann besser, wie wichtig Afghanistans Stabilität ist.

Übersetzung: Redaktion Originalfassung Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".