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Verwirrte Zellen

Von Edwin Baumgartner

Wissen
Zu viel Salz kann den Verlauf von Multipler Sklerose ungünstig beeinflussen, glauben US-Wissenschafter.
© corbis

Omega-6-Fettsäuren verstärken Intensität von Multipler Sklerose.


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Wien. Salz verstärkt den Geschmack von Speisen. Und den Verlauf von Multipler Sklerose (MS). Zumindest im Tierversuch haben nun US-amerikanische Wissenschafter der Yale University den Zusammenhang zwischen dem weltweit beliebtesten Geschmacksverstärker und der Autoimmunerkrankung nachgewiesen. Sie dokumentierten, dass eine salzreiche Ernährung bei Mäusen eine Krankheit verursachen und verschlimmern kann, die der MS des Menschen ähnelt.

Eine entscheidende Rolle für den Ausbruch und den Verlauf von MS spielt allerdings auch das Erbgut. Im Zusammenhang mit der nun veröffentlichten Studie stellt der Neurologe David Hafler von der Yale University daher fest: "Diese Krankheiten entstehen nicht durch bestimmte Gene allein oder nur durch Umwelteinflüsse, sondern durch ein Zusammenspiel von beidem."

Welche Rolle spielt nun das Salz? - Es geht um seinen Einfluss auf die TH17-Zellen. Diese Leukozyten aus der Gruppe der für die Immunabwehr zuständigen T-Zellen geben den Signalstoff Interleukin-17 ab. Er löst jene Entzündungen aus, mit denen der Körper Krankheitserreger bekämpft. Wird nun durch die Nahrung überreichlich Salz zugeführt, scheint es, dass, eine entsprechende genetische Prädisposition vorausgesetzt, die TH17-Zellen außer Kontrolle geraten. Sie produzieren mehr Interleukin-17, das obendrein aggressivere Entzündungen hervorruft.

MS ist eine schubweise oder schleichend voranschreitende entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems, die dadurch verursacht wird, dass T-Zellen unabhängig von einer Infektion aktiv werden und das zentrale Nervensystem angreifen. Die Wissenschafter der Yale University sehen nun einen direkten Zusammenhang: Salz verstärkt die Aktivität der TH17-Zellen - die Entzündungsreaktion wird verstärkt - MS wird ausgelöst oder im Verlauf ungünstig beeinflusst. Inwiefern die im Tierversuch gewonnen Erkenntnisse auf den Menschen anwendbar sind, bedarf freilich erst weiterer Untersuchungen.

Der deutsche MS-Spezialist Olaf Hebener, der sich auf den Zusammenhang zwischen der Autoimmunkrankheit und der Ernährung konzentriert, verweist im Zusammenhang von Salz und MS obendrein auf die Publikation von Manuel Friese vom Zentrum für molekulare Neurobiologie in Hamburg. Ihr zufolge wird unter Einwirkung eines speziellen Moleküls ein Natriumkanal in Nervenzellen gebildet, wodurch ein Teil des Absterbens dieser Zellen bei MS experimentell erklärt werden kann.

Reduktion von Linolsäure

Vorerst ist Hebener freilich, wie er gegenüber der "Wiener Zeitung" ausführt, von der Auswirkung des Salzgehalts in der Nahrung auf den Ausbruch und/oder den Verlauf von MS nicht überzeugt. Er selbst setzt bei den Krankheitsmechanismen an, als die er chronische Entzündung, immunologische Disbalance und den Verlust von Nervenzellen (Neurodegeneration) benennt. Seinen Erkenntnissen zufolge unterliegen diese Mechanismen dem Einfluss mehrfach ungesättigter Fettsäuren: Während die Omega-6-Fettsäuren (Linolsäuregruppe) die Intensität der Erkrankung verstärken, schwächen Omega-3-Fettsäuren maritimen Ursprungs sie ab. Daher setzt Hebener auf eine linolsäurereduzierte Ernährung, die er mit täglicher Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren und hochdosierten Antioxidantien wie Vitamin E und Selen zum Gewebsschutz ergänzt.

Hebener erzielt damit eine Verlangsamung der neurologischen Ausfälle, und bei nahezu allen seinen Patienten bleibt das gefürchtete Fatigue-Syndrom (Erschöpfungszustand), eine der häufigsten Begleiterscheinungen der MS, aus. Hebener setzt seine Erkenntnisse im MS-Therapiezentrum Hohen-Sülzen praktisch um.

Nachdrücklich muss dennoch festgestellt werden, dass es das Wundermittel zur Heilung von MS, und sei es auch nur zur Erhaltung des Status quo, vorerst nicht gibt. Auch das demnächst auf den Markt kommende Medikament auf der Basis von Fumarsäure, das bei schubförmiger MS Anwendung finden soll, kann den Krankheitsverlauf nur verbessern. Es kann aber weder Remissionen der bestehenden Ausfälle bewirken noch den Verlauf der Krankheit völlig stoppen.