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Die fast täglichen terroristischen Anschläge im Irak, die hohen Blutzoll fordern, stehen im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Sie haben vor allem politisch einen destabilisierenden Effekt. Viel weniger zur Kenntnis genommen werden die ebenfalls alltäglichen Sabotageakte gegen Pipeline-Systeme und Ölverladevorrichtungen, obwohl das wirtschaftlich massive Auswirkungen hat und den Wiederaufbau des Landes gefährdet. Pipelines sind aber nicht nur im Irak "begehrtes" Ziel für Terroristen.
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Selten schafft es ein Terror-Anschlag, der sich nur gegen ein wirtschaftliches Ziel richtet, in die Medien und damit auch in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Es muss schon ziemlich spektakulär sein, damit das passiert - so wie Ende April, als es im wichtigsten Ölverladehafen des Irak, in der Hafenstadt Basra, einen wahren "Feuerzauber" gab: Vier Boote mit Selbstmordattentätern, die angeblich aus dem Umfeld des Terrornetzwerkes Al Kaida stammen sollen, wurden vollgefüllt mit Sprengstoff gegen zwei Ankerplätze für Supertanker gesteuert und richteten so schweren Schaden an, dass die Verladung von Öl mehrere Tage unterbrochen werden musste. Jeder Tag, an dem nicht verschifft werden kann, heißt eine Million Barrel weniger Export oder - in Zahlen ausgedrückt - zwischen 28 und 30 Millionen Dollar pro Tag Verlust für den Irak. Über Basra gehen 85 Prozent der Ölexporte des Irak.
Vielleicht wäre dieser Vorfall, wie so viele zuvor, nicht in die Medien gelangt, wenn nicht diesmal auch ein Matrose der US-Küstenwache getötet und vier weitere US-Techniker verletzt worden wären.
Dabei sind Anschläge gegen Pipelines und Ölversorgungseinrichtungen im Irak seit Beginn der Besetzung durch US-Truppen und ihre Verbündeten an der Tagesordnung. Sie betrafen und betreffen in der Regel hauptsächlich jene Pipelines und Pumpstationen, die das "schwarze Gold" (das einzige, womit der ausgeblutete Irak Geld erlösen kann) in die Türkei befördern. Die nördliche Pipeline, von Kirkuk nach dem türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan wurde im Juni vergangenen Jahres zweimal gesprengt, und die Pipeline vom gigantischen Rumeila-Feld in den Süden des Landes wurde ebenfalls zweimal von Aufständischen in die Luft geblasen.
Nach vorsichtigen Schätzungen gehen so fast täglich im Schnitt an die 8.000 bis 10.000 Barrel Öl verloren: Die Pipelines "bluten" für einige Zeit (bis der Schaden entdeckt und repariert wird) und das Geld verrinnt mittlerweile buchstäblich im Sand.
Insgesamt gibt es 8000 Kilometer Pipelines im Irak und es war von vornherein klar, dass dieses Netz weder durch die stationierten militärischen Einheiten der Amerikaner und ihrer Verbündeten aus der "Koalition der Willigen" wirksam zu schützen sein würde noch durch das Heer der Wächter privater Sicherheitsfirmen, die im Irak ja ebenfalls eingesetzt sind, aber sich nicht gerade als erfolgreich erweisen.
Irak als Lehrbeispiel für terroristische Gruppen
Was sich im Irak seit dem vergangenen Jahr und auch heuer an Sabotage-Akten gegen die Pipelines und Ölversorgungseinrichtungen abspielt, wird von terroristischen Gruppen, aber auch der organisierten Kriminalität mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Es liegen bei den verschiedenen Geheimdiensten Erkenntnisse vor, dass die Terrornetzwerke die Öl- und Gasversorgung über die Hunderttausenden Kilometer Pipelines weltweit als "weiches", äußerst verwundbares - und damit lohnendes - Ziel erkannt haben. Viele werden ja auch über Land und nicht unterirdisch geführt (vor allem in den Wüstengebieten), sind also weithin sichtbar; sie können in ihrer Gesamtlänge gar nicht bewacht und geschützt werden, ebenso wenig wie die dazu notwendige Infrastruktur, also Kompressor- oder Pumpstationen sowie Serviceeinrichtungen.
Die USA haben unmittelbar nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 die Gefahr erkannt. In einer Anweisung des US-Transportministeriums von Anfang Oktober heißt es: "Die Pipelinebetreiber müssen sich dessen bewusst sein, dass ihre Systeme von terroristischen Anschlägen bedroht sind." Man forderte daher, die Sicherheitsvorkehrungen zu überprüfen. An die Angestellten erging der Appell "wachsam gegenüber jeder unüblichen Aktivität zu sein und besonders auf verdächtige Pakete an oder in der Nähe der Pipelines zu achten."
Extrem verletzlich - eine Gewehrkugel genügt
Pipelines (wenn auch längst nicht mehr alle) sind extrem verwundbar und verletzlich, in der Tat so wie eine Ader im menschlichen Körper. Als der 37-jährige "eingerauchte" Daniel Lewis von der Elliot-Highway in Alaska aus eine Kugel aus seinem 0.338-Kalibergewehr auf die Trans-Alaska-Pipeline abfeuerte, entstand laut "Anchorage Daily News" ein Loch von nur einem halben Zoll. Bis das freilich entdeckt und der Schaden repariert werden konnte, waren immerhin 6.800 Fass Öl auf den umliegenden Waldboden geflossen.
Natürlich sind nicht alle Öl- und Gaspipelines gleichermaßen gefährdet, aber weitaus die Mehrheit. In Russland, das mit dem tschetschenischen Terrorismus zu kämpfen hat, gibt es allein 150.00 Kilometer Gaspipelines, 35.000 Kilometer Pipelines für Ölprodukte und 15.000 Kilometer Ölpipelines. Die Sicherheit dieser Pipelines, die von der staatlichen Transportgesellschaft Transneft betrieben werden, ist einfach nicht zu gewährleisten, auch wenn jüngst der russische Gasgigant Gazprom gemeinsam mit dem Innenministerium und privaten Sicherheitsdiensten einen verstärkten Wachdienst aufgezogen und die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt hat.
Aber so wie es im Irak fast täglich Sabotageakte gegen Pipelines gibt, von denen kaum Notiz genommen wird, gibt es auch im Nordkaukasus (Tschetschenien, Inguschetien) sehr häufig Anschläge gegen die russischen Pipelines.
Das Beispiel Algerien lehrt das Fürchten
Grundsätzlich gilt: Überall, wo die politische Lage instabil ist und es terroristische Aktivitäten gibt oder (wieder) geben kann, sind Pipelines ein lohnendes Ziel. In Algerien, in dem lange Zeit islamische Fundamentalisten der Regierung und der Welt das Fürchten lehrten, kam es am 19. Jänner dieses Jahres vermutlich zu einer verheerenden Explosion Anlage in Skikda, wo Erdgas verflüssigt wird. Die Explosion tötete 27 Personen, 72 wurden verletzt. Während viele Beobachter einen terroristischen Sabotageakt vor den Wahlen vermuteten, schloß das Regime Bouteflika zwar eine solchen Hintergrund nicht aus, versteifte sich aber dann auf ein "technisches Gebrechen". Allerdings hat die Untersuchungskommission bis heute keinen Abschlussbericht vorgelegt. Wie auch immer: Der Vorfall in Skikda hatte sofort und unmittelbar auch massive wirtschaftliche Auswirkungen - kurze Zeit kletterte der Ölpreis in den USA auf 36,37 Dollar pro Fass. Nicht weniger hektisch reagierte man in Paris, das ja auf Erdgaslieferungen aus Algerien angewiesen ist. Die algerische Wirtschaft steht und fällt mit den Erdöl- und Erdgasexporten, die für 96 Prozent der Exporterlöse dieses nordafrikanischen Staates aufkommen.
Eines der größten, derzeit in Realisierung befindlichen Projekte ist die Baku-Tbilisi-Ceyhan (BTC) Pipeline, die Öl von Aserbeidschan über Georgien an den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan pumpen wird. Auch da hätten Terroristen leichtes Spiel - und die Region ist unsicher genug. Abgesehen von den tschetschenischen Kämpfern, die den ganzen Kaukasus unsicher machen und ja bis nach Georgien hineinsickern, gibt es auch noch die radikalen Islamistengruppe "Jeyshallah" in Aserbeidschan und die verstreut noch immer aktiven kurdischen Rebellengruppen in der Osttürkei. Die USA haben allein zum Schutz der BTC-Pipeline in Georgien zuletzt 70 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt, sowie Radar, Hubschrauber für Überwachungsflüge und Kommunikationsmittel.
Auch die zahlreichen Pipeline-Projekte auf dem Balkan sind ("Nabucco" wird unter anderem Gas aus dem Kaspischen Meer über die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn bis ins niederösterreichische Baumgarten führen) durchaus potenziell gefährdet. In diesen Staaten sind schon terroristische Zellen aus dem Umfeld von Al-Kaida entdeckt worden und auch die nach wie vor aktiven albanischen Guerillagruppen werden in Mazedonien und Serbien verwundbare Pipelines vorfinden, die teils schon gebaut, teils erst in Planung sind.