Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Matteo Renzi ist politisch zum Letzten entschlossen. Italiens Premierminister, der als "Zerschrotter" vor zweieinhalb Jahren angetreten ist, die politische Selbstblockade seines Landes aufzubrechen, will das Verfassungsreferendum am 4. Dezember zur Urabstimmung über seine Person und Politik umwandeln. Im Falle eines Neins der Bürger will er sofort zurücktreten.
Diese Strategie kann man mindestens so sehr als Zeichen überbordenden Selbstbewusstseins und wilder Entschlossenheit wie als Signal äußerster Verzweiflung werten. Immerhin ist nicht ausgeschlossen, dass die Bürger sich nicht beeindrucken lassen. In diesem Fall würde Renzi mit seinem Junktim die politische Malaise seines Landes, der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone, weiter vertiefen. Mit unabsehbaren weiteren Folgen für die Europäische Union, die jetzt schon um ihre Handlungsfähigkeit ringt.
Sollte Renzis Plan aufgehen und die Verfassungsreform durchgehen, geht der Premier gestärkt aus der erbitterten Auseinandersetzung hervor - in Rom wie in Brüssel. Allerdings sind erhebliche Zweifel an Renzis Strategie angebracht. Schon Bruno Kreisky drohte 1978 mit seinem Rücktritt, sollten die Österreicher gegen die Atomkraft stimmen; David Cameron war nach einem überraschenden Wahlsieg ebenfalls zuversichtlich, dass ihn die Briten beim Brexit-Votum nicht im Regen stehen lassen würden, genauso wie erst jüngst Bulgariens Regierungschef, der per Rücktrittsdrohung unbedingt den Wahlsieg seiner Kandidatin bei der Präsidentschaftswahl erzwingen wollte.
All diese Fälle haben für sich genommen nichts miteinander gemeinsam, außer dass die Bürger ihren Regierenden jedes Mal eine lange Nase gezeigt haben. Die Menschen quer durch die westliche Hemisphäre reagieren mittlerweile einigermaßen allergisch auf jedweden Druck von oben, doch bitte dieses zu tun oder jenes zu unterlassen. Allerspätestens seit der Wahl Donald Trumps sollte sich das in sämtlichen Hauptstädten herumgesprochen haben.
Bleibt die Frage, wie Regierungen, ja die Politik insgesamt, ihre Bürger von notwendigen Veränderungen überzeugen können. Sehr, sehr viel wird davon abhängen, ob dies zeitnah gelingt. Zumal auch Kreiskys Methode längst nicht mehr funktioniert. Der hat ja bekanntlich einfach seine eigene Ankündigung ignoriert und kurz darauf die nächsten Wahlen gewonnen.