)
FDP will Ende des Solidaritätszuschlags, Merkel Investitionen in Infrastruktur.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Philipp Rösler ist wieder aufgetaucht. Monatelang war der Vorsitzende der deutschen FDP medial kaum präsent. Keine zehn Wochen vor der Bundestagswahl im September begehrt er gegen seine Koalitionspartnerin und Kanzlerin auf. Im Gegensatz zu Angela Merkel plädieren die Liberalen für die Abschaffung des Solidaritätszuschlags - jener 1991 zum Aufbau von Wirtschaft und Infrastruktur der ehemaligen DDR eingeführten und zeitlich unbefristeten Abgabe von mittlerweile 5,5 Prozent auf Lohn-, Einkommens- und Körperschaftssteuer.
"Irgendwann muss man sich daran erinnern, wozu der Soli eingeführt wurde, nämlich vor allem dazu, die deutsche Einheit mitzufinanzieren", richtet Rösler der Regierungschefin aus. Und er ist nicht alleine mit seiner Forderung, sogar die Mittelstandsvereinigung der CDU unterstützt den FDP-Chef. Denn von den rund 13 Milliarden Einnahmen aus dem "Soli" werden heuer lediglich 40 Prozent im Osten investiert.
Wäre es eine ernsthafte Debatte, hätte sie Applaus verdient. Mittelfristig muss sich Deutschland die Frage stellen, wie der sehr ungleich verteilte Reichtum des Landes alle Bundesländer erreicht. So gibt es im System des Länderfinanzausgleichs mit Bayern, Baden-Württemberg und Hessen nur mehr drei Geber-Länder. Zudem läuft im Jahr 2019 der "Aufbau Ost" genannte Solidarpakt II aus, mit dem bis dahin 156 Milliarden Euro vergeben werden sollen. "Wir brauchen anschließend eher einen Aufbau West", ächzt Bayerns CSU-Finanzminister Markus Söder angesichts klammer Kommunen in den alten Bundesländern.
Aktionismus statt Konzepte
Die um den Wiedereinzug in den Bundestag bangende FDP setzt mit ihrer aktuellen Forderung jedoch weniger auf langfristige Konzepte als auf kurzfristigen Aktionismus. Bei vier Prozent liegen die Liberalen in Umfragen - und versuchen in abgemilderter Form ein Dacapo ihres Steuerwahlkampfes von 2009. 14,6 Prozent der Wählerstimmen, das beste Ergebnis ihrer Geschichte, erreichte die FDP damals. Doch nur wenige Kerngruppen wie Hoteliers profitierten unmittelbar nach dem Regierungseintritt, was das Image der Partei bis heute nachhaltig beschädigt hat.
In ihrer Verzweiflung packt die FDP das Steuer-Thema wieder aus der Mottenkiste - auch weil sie mit anderen Vorschlägen nicht in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Bisher überstrahlte die Person Merkel sämtliche Themen; zwei Drittel der Deutschen sind mit ihrer Arbeit zufrieden. Auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bekommt dies zu spüren; seine scharfe Kritik im Zuge des NSA-Abhörskandals verpufft bei den Wählern.
Merkel schaltet und waltet derweil nach Belieben, verheimlicht auch nicht, warum sie den "Soli" beibehalten möchte: um Schulden zurückzuzahlen. "Ich sehe nicht, wie wir einen Betrag in dieser Höhe an anderer Stelle einsparen könnten", sagt die Kanzlerin trotz Rekordeinnahmen bei Bund und Ländern. Diese haben im ersten Halbjahr 277 Milliarden Euro Steuern kassiert. Den positiven Zahlen steht ein 1,3 Billionen schwerer Schuldenberg gegenüber, den Merkel sukzessive abbauen möchte. 2015 soll - zum ersten Mal seit 1969 - wieder ein Haushaltsüberschuss erreicht werden. Für diese historische Leistung und den damit verbundenen Imagegewinn benötigt die Kanzlerin die "Soli"-Einnahmen.
Höhere Ausgaben stehen dafür bei der Infrastruktur an. "Wenn ich auf die nächsten Jahre blicke, sehe ich großen Investitionsbedarf, und zwar in ganz Deutschland, etwa in Straße und Schiene", sagte Merkel gegenüber der Zeitung "Die Welt". 7,2 Milliarden Euro fehlen jährlich für Schienen, Straßen und Schleusen, warnte die "Zeit" kürzlich unter dem Titel "Deutschland geht kaputt". Neue Investitionen sind gute Nachrichten für heimische Betriebe, etwa die Voestalpine; sie erhofft sich in ihrem wichtigsten Einzelmarkt einen kräftigen Impuls für das Schienengeschäft. Bis dahin ist der Koalitionszwist längst vergessen - und die FDP möglicherweise wieder ins Parlament eingezogen.