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Verzweifelte Suche nach Jobs für Millionen Europäer

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Debatte um Wachstum und Beschäftigung im EU-Parlament.


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Brüssel/Straßburg. Es ist zumindest ein Hoffnungsschimmer. "Ich sehe ein Frühlingslüftchen uns erwärmen", sagt Hannes Swoboda mit einem leichten Augenzwinkern. Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament meint im Gespräch mit Journalisten damit nicht nur die Umfragewerte des französischen Präsidentschaftskandidaten François Hollande, dessen Sieg der Sozialdemokratie in ganz Europa einen "enormen Auftrieb" geben würde.

Swoboda spricht dabei auch vom Plädoyer der EU-Kommission, sich wieder verstärkt darauf zu konzentrieren, das Wirtschaftswachstum in der Union anzukurbeln sowie Jobs zu schaffen - und das unter Einbindung der Sozialpartner. Das beinhalten nämlich die Vorschläge von Sozialkommissar Laszlo Andor, der in Straßburg - wo derzeit das EU-Parlament tagt - ein umfangreiches Beschäftigungspaket präsentierte.

Solch ein Vorstoß wäre vor einem Jahr noch nicht möglich gewesen, glaubt Swoboda. Denn da kreisten die Debatten vielmehr um ausufernde Staatsausgaben und die Möglichkeiten, wie Länder zu mehr Haushaltsdisziplin gezwungen werden können.

Doch Sparvorgaben allein bringen die Wirtschaft nicht wieder zum Wachsen. Und mittlerweile ist die Arbeitslosenrate in der EU so hoch wie seit mehr als einem Jahrzehnt nicht: Jeder Zehnte ist derzeit ohne Job. Den 1,5 Millionen Arbeitsplätzen, die seit 2008 innerhalb von drei Jahren geschaffen wurden, standen sechs Millionen gegenüber, die verloren gegangen sind.

Mit rund 23 Millionen Arbeitslosen - und Ländern, wo die Jugendarbeitslosigkeit bis zu 50 Prozent ausmachen kann - ist die Union weit von ihrem selbstgesteckten Ziel entfernt, bis zum Jahr 2020 drei Viertel aller 20- bis 64-Jährigen in Beschäftigung zu haben. Wollten die Staaten das erreichen, müssten sie bis dahin fast 18 Millionen Jobs schaffen.

Dabei möchte sie die EU-Kommission mit ihren Vorschlägen unterstützen. Das von Andor vorgelegte Papier ist allerdings mehr eine Sammlung von Ideen als Vorgaben, die in Gesetze münden könnten. Denn die Beschäftigungs- wie auch Steuerpolitik ist Angelegenheit der Länder. So kann Brüssel beispielsweise lediglich suggerieren, die Besteuerung auf Arbeit zu reduzieren, darauf pochen, Berufsabschlüsse und Qualifikationen auch grenzüberschreitend anzuerkennen oder auf die Vorteile hinweisen, die Mindestlöhne bei der Aufrechterhaltung der Nachfrage nach Arbeit bringen können. Ebenso kann sie höchstens unterstreichen, dass mit umweltfreundlichen Technologien und in der Gesundheitsversorgung mehr Jobs geschaffen werden könnten.

Einmal mehr drängt die Behörde darauf, die Ausbildungschancen besser zu fördern sowie Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen zu stabilen Jobs zu verhelfen. Als Finanzhilfe dafür stünden ja mindestens 84 Milliarden Euro aus dem Europäischen Sozialfonds zur Verfügung.

33.600 Euro pro Griechen
Doch auch etwas anderes sieht die Kommission als noch nicht erreicht an: einen gemeinsamen europäischen Arbeitsmarkt. Das führe sowohl zu regionalen Unterschieden, aber auch zu "strukturellen Ungleichgewichten" bei Arbeits-Angebot und -Nachfrage. Zum einen, stellt die Behörde fest, sei die Mobilität der Arbeitnehmer innerhalb der EU noch immer gering: Im Jahr 2010 arbeiteten nicht einmal drei Prozent der Europäer in einem anderen Land als dem ihrem. Zum anderen sei der Zugang zu bestimmten Posten etwa im öffentlichen Sektor anderen Staatsangehörigen oft verwehrt. Dabei sollten die Kriterien für diese Einschränkungen von Fall zu Fall überprüft werden, findet Brüssel.

Zudem ist der Arbeitsmarkt für Bürger aus den zwei jüngsten Mitgliedstaaten in neun Ländern, darunter in Österreich, noch immer nicht geöffnet - "trotz der insgesamt positiven Auswirkungen dieser Arbeitsmigration auf die Wirtschaft der Zielländer", wie die Kommission betont. Zwar stehe es den Staaten zu, Übergangsfristen für Rumänen und Bulgaren aufrechtzuerhalten. Doch könnten sie "erwägen", diese Hürden früher als geplant aufzuheben. Wien hat bisher daran festgehalten, die Übergangsfristen bis 2014 nutzen zu wollen.

Den Abbau nationaler Beschränkungen forderte auch Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso vor den versammelten EU-Abgeordneten. "Der Binnenmarkt ist unser größter Wachstumsmotor", erklärte er. Um die Frage, wie Wachstum ebenfalls in krisengeschüttelten Staaten wie Griechenland gefördert werden kann, drehte sich denn auch die anschließende Parlamentsdebatte. Aus Sicht der EU-Kommission unternimmt Athen zwar enorme Anstrengungen, doch müssten die Reformen umgesetzt werden - inklusive Bekämpfung der Korruption, Verkürzung von Gerichtsverfahren und Verringerung der Bürokratie, die gerade kleinen und mittleren Unternehmen schweren Schaden zufüge.

Finanzielle Unterstützung bei der Krisenbewältigung hat Griechenland jedenfalls. In ihrem Bericht dazu nennt die Kommission Zahlen: 380 Milliarden Euro oder 33.600 Euro pro griechischen Bürger. So viel haben die EU und die internationale Gemeinschaft bisher zur Verfügung gestellt, um das Land vor der Staatspleite zu retten. Das würde den Marshall-Plan für den Wiederaufbau Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg weit übertreffen, sagte Barroso. Bei Griechenland betrage die Finanzhilfe bereits 177 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Mit dem Hinweis auf diese Solidarität konnte Barroso bekunden: "Wir glauben nicht, dass das europäische Sozialmodell tot ist." Allerdings müssten die EU-Staaten ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen.

Dem könnten etliche EU-Parlamentarier zustimmen. Doch fordern sie weiterhin konkrete Schritte, um das Wachstum anzukurbeln und vor allem die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. "Deklarationen sind nicht genug", meinte etwa Swoboda im Plenum: "Wir brauchen starke verpflichtende Gesetzgebung." Joseph Daul, der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, wiederum verlangte, dass das Wachstumsprinzip zur Grundlage für alle EU-Ausgaben wird.

Dieses Prinzip wollen auch die EU-Staats- und Regierungschefs wieder mehr in den Vordergrund rücken. Darauf haben sie sich zumindest bei ihrem letzten Gipfeltreffen vor eineinhalb Monaten geeinigt. Doch auch dieses Dokument ist zunächst eine Ansammlung von Ideen geblieben.