Zum Hauptinhalt springen

Verzweifelte Suche nach Wachstum und Jobs

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Heftige Debatten aber keine Entscheidungen beim Sondertreffen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Brüssel/Wien. Jenseits des Atlantik hätte François Hollande einen mächtigen Verbündeten für seine europapolitischen Ideen. Denn just von US-Präsident Barack Obama erhielt der französische Staatschef beim G8-Treffen am Wochenende Beifall für seine Wünsche, die Sparprogramme der EU-Staaten mit Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft zu ergänzen - selbst wenn dafür neue Schulden in Kauf zu nehmen wären.

Doch spielen dabei auf beiden Kontinenten innenpolitische Überlegungen eine Rolle: Obama kämpft um seine Wiederwahl, und Hollande wird vor dem wichtigen Parlamentsvotum in Frankreich in wenigen Wochen kaum von seinen Forderungen aus dem Wahlkampf abrücken können - auch wenn er weiß, dass sein Land kurz danach selbst zu sparen anfangen muss. Und das wird die Diskussionen beim Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs am heutigen Mittwoch nicht unbedingt leichter machen.

Zwar stand auf der Agenda der abendlichen Zusammenkunft von vornherein die schon seit Monaten geführte Debatte, wie Sparen mit Wachstum zu kombinieren ist. Doch werden wegen der Zwistigkeiten zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten keine großen Entscheidungen getroffen werden können. Ob diese dann beim EU-Gipfel Ende Juni fallen, für dessen Vorbereitung das Treffen gedacht war, ist auch noch offen.

So überschattete die Zusammenkunft im Vorfeld ein Tauziehen um die Einführung von Euro-Anleihen, mit denen die Schulden der Euro-Staaten mehr oder minder vergemeinschaftet werden könnten. Frankreich pocht darauf, Italien spricht sich ebenfalls dafür aus, Deutschland ist strikt dagegen und bekommt dabei Unterstützung von Österreich. Spanien plädiert ebenso für Maßnahmen, die schneller umzusetzen wären als Euro-Bonds.

Bausteine für eine Strategie

Aus Berlin hieß es sogar, dass die deutsche Regierung ihre ablehnende Haltung auch beim Gipfeltreffen in gut einem Monat nicht ändern werde. In Wien fand Finanzministerin Maria Fekter "kein Verständnis dafür, dass Österreich womöglich doppelt so hohe Zinsen" als bisher zahlen soll. Auch die deutsche Regierung befürchtet, für die mangelhafte Haushaltsdisziplin anderer Länder mehr Geld ausgeben zu müssen. Und in der EU-Kommission, die selbst die Einführung von Euro-Bonds in einem Diskussionspapier in Aussicht gestellt hat, werden diese Anleihen zwar als "wichtiges Mittel bei der Stabilisierung der Euro-Zone" angesehen, aber nicht als Sofortlösung.

Dennoch hält Währungskommissar Olli Rehn es für wünschenswert, einen Zeitpunkt für die Ausgabe der Papiere zu erarbeiten. Ein "mittel- bis langfristiger Fahrplan" müsse nun folgen, erklärte er vor dem EU-Parlament, das derzeit in Straßburg tagt. Wenn die Länder in der EU ihre Haushalts- und Wirtschaftspolitik stärker abstimmen, dann könnten sie auch gemeinsam für Schulden gerade stehen, meinte Rehn. Davon scheint die Union aber noch weit entfernt zu sein.

Hingegen wären Projekt-Anleihen ein Baustein in der möglichen künftigen Wachstumsstrategie, mit dem sich mehr Staaten schnell anfreunden könnten. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy, der dem Abendessen vorsitzt, drängt in seinem Einladungsschreiben an die Staats- und Regierungschefs, dazu, die Pilotphase für diese Anleihen einzuleiten, mit denen Milliarden-Vorhaben wie der Bau von Brücken oder Stromleitungen schneller finanziert werden sollen.

Dabei hat es bereits eine erste Vereinbarung zwischen den Ländern und dem EU-Parlament gegeben. So sollen die Projekt-Anleihen schon 2012/2013 in ihre Probephase treten. 230 Millionen Euro aus dem EU-Budget sind für diesen Zeitraum vorgesehen. Die Europäische Kommission erhofft sich von der Vervielfachung der Mittel durch Investoren und EIB ein Investitionsvolumen in Höhe von 4,6 Milliarden Euro.

Doch auch andere Themen werden zum Abendessen der Spitzenpolitiker serviert, wie es ein EU-Diplomat formulierte. Die Palette reicht von der umstrittenen Finanztransaktionssteuer über die bessere Ausnutzung von EU-Förderungen zur Arbeitsplatzbeschaffung bis hin zu Vorgaben für eine größere Energieeffizienz.

All das sind aber lediglich Teile einer größeren Wachstumsstrategie, die die EU-Politiker verzweifelt suchen - wozu sie nicht zuletzt die steigende Arbeitslosenrate in Europa zwingt. Dass Initiativen zur Schaffung von Jobs nötig seien, haben die Staats- und Regierungschefs allerdings schon bei ihrem letzten Gipfeltreffen Anfang März festgestellt.

Damals waren aber auch so gut wie alle Mitglieder - mit Ausnahme von Großbritannien und Tschechien - für den Fiskalpakt zu strengerer Haushaltsdisziplin. Dass der Text wieder neu verhandelt wird, wie es Frankreichs neuer Präsident forderte, ist zwar nicht wahrscheinlich. Aber Kompromisse zu Wachstumsinitiativen hält Hollande für möglich.

Staaten wie Deutschland werden dennoch auf die Einhaltung der Budgetvorgaben pochen, auch um andere "zu erinnern, dass sie in ihren Ländern umsetzen sollten, was sie in Brüssel vereinbart haben", sagte ein Diplomat. Mehr als ein Austausch von Meinungen wird von dem heutigen Treffen daher nicht erwartet.

Wie es danach weitergehen soll, davon hat zumindest US-Präsident Obama klare Vorstellungen. Er richtete den Europäern aus: "Kraftvolles Handeln ist ein besseres Herangehen als mit kleinen Häppchen."

Wissen: Eurobonds - Projektbonds

Im Streit um Gemeinschaftsanleihen werden neben Eurobonds auch Projektbonds diskutiert. Die Begriffe werden oft nicht klar getrennt – deshalb ist die Verwirrung groß.

Eurobonds sind Staatsanleihen, die gemeinschaftlich von den Ländern der Eurozone ausgegeben werden. Um Mittel an Kapitalmärkten aufzunehmen, emittiert bisher jedes Land selbst Staatsanleihen. Da deutsche Bundesanleihen und -wertpapiere als besonders sicher gelten, zahlt Deutschland dafür relativ niedrige Zinsen, während weniger kreditwürdige Staaten an die Gläubiger ihrer Anleihen mehr zahlen müssen. Eurobonds würden bewirken, dass die Zinskosten für alle gleich hoch wären – Deutschland und Östereich würden vermutlich mehr, Krisenländer wie Italien oder Spanien mit Sicherheit deutlich weniger zahlen. Hinter der Idee steht die Hoffnung, dass die Kreditwürdigkeit der Eurozone als Ganze von den Finanzmärkten und den Ratingagenturen höher eingeschätzt würde als die ihrer einzelnen Staaten. Knackpunkt ist die Frage, wie dabei die Budgetdisziplin der Staaten gewährleistet werden kann. In ihrer radikalsten Form würden Eurobonds die Renditen für alle Staaten vereinheitlichen. Eine Variante sieht nur eine teilweise Ablösung einzelstaatlicher Anleihen vor, bei der sich Länder nur bis zur Maastricht-Schuldenobergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts über Eurobonds refinanzieren.

Projektbonds sollen in der EU neue Geldquellen für den Bau milliardenschwerer Infrastrukturprojekte wie Stromnetze, Straßen oder Datenleitungen erschließen. Wie bei Eurobonds übernähmen EU-Länder ein gemeinsames finanzielles Risiko. Wenn ein Teil des EU-Budgets als Sicherheit zur Verfügung stünde, wären Investoren wie Banken, Pensionsfonds oder Hedgefonds eher bereit, eigenes Geld beizusteuern, so die Hoffnung. Um private Investoren für wichtige Infrastrukturprojekte zu gewinnen, sollen 230 Millionen Euro aus dem EU-Budget als Garantien für die auch Wachstumsanleihen genannten Projektbonds bereitstehen. Bei der Überwachung und Umsetzung soll die Europäische Investitionsbank helfen.