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Verzweiflung in der Hölle von Bam

Von Marketa Kutilova, Bam

Politik

Über drei Wochen ist es mittlerweile her, dass ein Erdbeben die südostiranische Stadt Bam dem Erdboden gleichgemacht hat. Über 41.000 Menschen fanden dabei den Tod. Zwar ist die Tragödie aus den internationalen Schlagzeilen verschwunden, vorbei ist sie deswegen noch lange nicht. Täglich müssen die Bewohner der Stadt ums nackte Überleben kämpfen.


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"Unter den Trümmern, da liegen meine Eltern, meine Schwester und ihre Kinder. Mein Bruder und ich, wir sind die einzigen aus der Familie, die überlebt haben, weil wir in jener Nacht nicht Zuhause waren", sagt Reza Fatami mit zittriger Stimme. Er sitzt auf der Straße vor einem staubbedeckten Zelt und legt Bruchstücke zerstörten Mobiliars ins Lagerfeuer. Er versucht gerade Wasser für Tee zum Kochen zu bringen, den die Iraner fast ständig zu sich nehmen.

Vom Einfamilienhaus der Fatamis ist nichts übergeblieben als ein Haufen zerbrochener Ziegel. Darin finden sich Möbelsplitter, Fahrradteile, schmutzige Bücher und Kleiderreste.

Leben auf der Straße

Wie die meisten Menschen im Zentrum der iranischen Kleinstadt hatten Reza Fatamis Angehörige kaum eine Chance, die Naturkatastrophe zu überleben. Diejenigen, die Glück gehabt haben, fristen jetzt ihr Dasein in Zelten, die auf den Straßen oder Gehsteigen aufgestellt wurden. Nicht selten kommt es vor, dass zehn oder mehr Menschen in einem Zelt hausen müssen. Die meisten Betroffenen haben es so arrangiert, dass sie ihre Zelte direkt vor ihren ehemaligen Häusern aufgestellt haben. Damit sie Tag für Tag im Schutt nach Brauchbarem suchen können.

Manche der Obdachlosen betteln uns Journalisten um Geld an, andere sind viel zu stolz, als dass sie etwas annehmen würden. "Nein, nein, ich will nichts, alles ist verloren", weist ein Vater von drei Kindern das Geld von sich, das ich ihm anbiete. Er ist aber einverstanden, dass ich ihm helfe, die Schachteln mit Datteln aus seinem ehemaligen Geschäft zu bergen. Als wir mit der Arbeit fertig sind besteht er darauf, dass ich zwei Schachteln als Lohn mitnehme.

Alte oder verwundete Menschen sitzen teilnahmslos vor den Resten ihrer Häuser, es ist still, sie reden nichts. Die UNO geht davon aus, dass 40 Prozent der Betroffenen ein psychisches Trauma davongetragen haben.

Insgesamt 45.000 Menschen sind es, die jetzt in Bam obdachlos sind. 30.000 haben die Stadt verlassen. Noch ist das Wetter recht gut, die Nächte sind kalt aber erträglich, doch das kann sich mit jedem Tag ändern.

Das Rote Kreuz und der Rote Halbmond haben mittlerweile drei zentrale Lager errichtet, wo all die Obdachlosen untergebracht werden sollen. "Es wird ganz schön schwierig werden, die Leute überhaupt dorthin zu bekommen, weil sie in der Nähe ihrer Häuser bleiben wollen", sagt Jan Mrkvicka von der tschechischen NGO "Menschen in Not". "Außerdem sind viele Menschen hier opiumsüchtig, sie wollen sich nicht kontrollieren lassen", meint der Helfer.

Das größte Problem hier ist das fehlende Trinkwasser und die katastrophalen sanitären Zustände. Es gibt so gut wie keine Toiletten oder Duschen, so dass sich manche Menschen seit über drei Wochen nicht mehr gewaschen haben. Ein internationales Team ist deshalb bemüht, Wasser aufzubereiten. Unter Mithilfe des österreichischen Roten Kreuzes will man eine Schule aufbauen. Die Mittel sollen durch Spenden aufgebracht werden, wie der österreichische Rot-Kreuz-Helfer Phillip Cachee der "Wiener Zeitung" erzählt. Insgesamt sind 140 Schulen in Bam zerstört, 20.000 Jugendliche sind ohne Unterricht. Etwa 3.000 Kinder haben bei dem Unglück ihre Eltern verloren.

Leichenbergung

Noch sind in der Stadt keine Seuchen ausgebrochen, die Helfer rechnen aber stündlich damit. "Kein Zweifel, dass es zu Krankheitsfällen kommen wird", so der Kanadier Paul Bradley von der Hilfsorganisation IFRC. Die Suche nach den Leichen geht unterdessen weiter. Die Leichname werden in zwei Friedhöfen begraben. Einer von ihnen musste flächenmäßig bereits verdreifacht werden.

Eine der guten Nachrichten ist, dass nach dem Unglück von Bam bereits mehrere Kinder geboren wurden: "Das ist der Beweis dafür, dass das Leben in die Stadt zurückkehrt", so der iranische Arzt Mehdi Shandanous, der für ein ukrainisches Spital arbeitet.

Die Mitglieder der iranischen Regierung haben unterdessen lange darüber diskutiert, ob Bam an der gleichen Stelle wieder aufgebaut werden soll oder nicht. Schlussendlich hat man entschieden, die Stadt wiederzuerrichten. Das dürfte mindestens drei Jahre dauern.

Die österreichische Diakonie bittet um Spenden: PSK 23.13.300, BLZ 60.000, Kennwort "Erdbeben Iran". Für Online-Spenden findet sich auf der Homepage http://www.diakonie.at

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