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Jerusalem - Im Angesicht der vielleicht schwersten Krise seit der Gründung ihres Staates wählen die Israelis kommenden Dienstag ein neues Parlament. Doch für die meisten von ihnen ist wenige Tage vor dem Wahlgang klar: An der düsteren Lage im Nahen Osten wird sich auch nach dem 28. Jänner nicht viel ändern. Alle Auguren erwarten, dass Ministerpräsident Ariel Sharon erneut die Regierung übernimmt. Obwohl er keines seiner Wahlversprechen von vor zwei Jahren erfüllt und seinem Volk weder Sicherheit noch Frieden gebracht hat, dürfte der Likud-Chef gestärkt aus der Wahl hervorgehen.
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Die Chancen sind allerdings gering, dass er Israel jene stabile Regierung geben kann, die den blutigen Konflikt mit den Palästinensern beendet und seinem Land damit einem dauerhaften Frieden näher bringt. Die 16. Knesset mit ihren 120 Abgeordneten wird nach Prognosen ähnlich zersplittert sein, wie das Anfang November 2002 vorzeitig aufgelöste Parlament. Dort saßen und stritten 18 Fraktionen. Alle erwarten auch einen spürbaren Rechtsruck bei deutlichen Verlusten für das so genannte Friedenslager. Allen voran die Arbeiterpartei und ihr neuer Vorsitzender Amram Mitzna, der als Einziger die friedliche Beendigung des Konflikts mit den Palästinensern lautstark in den Mittelpunkt seines Wahlkampfs stellte.
Der hochdekorierte Ex-General Mitzna schwor seine zerstrittene Partei darauf ein, unter keinen Umständen einer Koalition mit dem unter Korruptionsverdacht stehenden Sharon beizutreten, da dieser zum Friedensschluss mit den Palästinensern unfähig sei. Doch sein verzweifelter Versuch, so wenigstens das linke Lager hinter sich zu bringen, scheint nach den Umfragen fehlgeschlagen. Mitzna, von Wahlhelfern als "Kandidat der Hoffnung" präsentiert, meinte resignierend: "Die Menschen haben Angst, sie leben in einem Schockzustand, und sie haben das Vertrauen verloren, dass es möglich ist, mit der anderen Seite zu verhandeln." Deshalb klammerten "sie sich an das, was sie kennen, auch wenn es nicht funktioniert hat".
Doch die meisten Israelis machen nicht Sharon für ihre Misere verantwortlich, für sie tragen die Palästinenser - allen voran ihr Präsident Yasser Arafat - die Alleinschuld an dem Konflikt. Dies erklärt, warum die Israelis Sharons rechten Likud-Block vermutlich zur stärksten Fraktion in der Knesset wählen werden, obwohl während Sharons Amtszeit etwa 600 Israelis im Konflikt mit den Palästinensern starben und Israel in die tiefste Rezession seit 50 Jahren abglitt.
Sharon machte erst am vergangenen Sonntag wieder deutlich, dass ein Friedensschluss mit den Nachbarn in den von Israel wieder besetzten Gebieten nur zu seinen Bedingungen möglich sein wird. Bedingungen, die für die Palästinenser unannehmbar sind. Einen wirklich unabhängigen Staat, der den Palästinensern vor Beginn des jüngsten Konflikts vor fast 28 Monaten sicher schien, wird es nach Sharons Willen nicht geben. Selbst wenn der Mann, der das Westjordanland noch immer als Teil Israels bezeichnet, wirklich ein Abkommen mit den Palästinensern will, was Israels Friedensbewegung bezweifelt: Sharon dürfte dabei mit einer kleinen, stark rechtsdominierten Koalition in große Schwierigkeiten kommen. Sogar in seiner eigenen Likud-Partei vertritt er inzwischen eine Minderheitenposition.
In dieser ausweglos scheinenden Lage drohen die Palästinenser mit weiterem Blutvergießen. Ihre radikalen Gruppen wollen unabhängig vom Ausgang der Wahl die Selbstmordattentate gegen Israelis fortsetzen. Und der als moderat bekannte Arbeitsminister Ghassan Khatib warnt: Sollte Israel eine Regierung wählen, "die die Gewalt fortsetzt, wird sie auch eine Antwort der Palästinenser bekommen". Nur ein Eingreifen der USA, so glauben alle Beobachter, kann den Kreislauf der Gewalt stoppen. US-Außenminister Colin Powell kündigte am Montag bereits an, Washington, die EU, Russland und die UNO (Nahost-"Quartett") würden nach der Israel-Wahl ihre Bemühungen zur Beendigung des Konflikts wieder aufnehmen: "Ich glaube, dies wäre eine gute Gelegenheit, neue Energie in den Friedensprozess zu stecken und etwas zu tun, um die schreckliche Lage für beide Völker zu beenden."