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Via Zoom kann man niemanden wirklich kennenlernen

Wissen

Gesichter merkt man sich nur dann gut, wenn man jemandem persönlich begegnet ist, zeigt eine Studie der Universität Jena.


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Jena. Verzerrte Stimmen, Tonausfälle, Bildausfälle, Erschöpfung, Frust: So richtig begeistert ist wahrscheinlich niemand von Zoom, beziehungsweise von Videokonferenzen ganz generell. Eine Studie der Universität Jena ist nun noch einem weiteren Nachteil der virtuellen Begegnungen auf die Spur gekommen: Gesichter, die man per Video, also zum Beispiel via Zoom, kennenlernt, lernt man nicht wirklich kennen: Man kann sie sich wesentlich schlechter merken als Gesichter von Menschen, denen man "in echt" persönlich begegnet ist.

5.000 Gesichter

Der Mensch ist eigentlich nicht schlecht darin, sich Gesichter zu merken. Jedenfalls kann eine Person rund 5.000 Gesichter als "vertraut" erkennen, also wissen, ob ihm jemand schon einmal begegnet ist oder nicht. Das funktioniert im Prinzip auch dann, wenn es nie einen persönlichen Kontakt gab. Schließlich merken wir uns auch die Gesichter von Schauspielern und erkennen das Gesicht aus dem Film in einem Magazin wieder.

Doch die virtuell vermittelte Gesichtserkennung hat ihre Grenzen. Ein Forschungsteam der Universität Jena wollte wissen, wie eigentlich "Vertrautheit" im Gehirn entsteht, beziehungsweise welche neuronalen Repräsentationen sich während des Kennenlernens bilden, und konnte im Zuge dessen zeigen, dass Vertrautheit offenbar mehr braucht als eine bestimmte Anordnung von Pixel.

Die Neurowissenschafter haben die elektrische Aktivität im Gehirn mittels EEG, Elektroenzephalogramm, bei den Studienteilnehmern gemessen, die zuvor in drei Gruppen eingeteilt worden waren: Einer Gruppe wurden Fotos von prominenten Personen vorgelegt, die sie aber nicht kannten. Die zweite Gruppe sah sich eine Fernsehsendung mit unbekannten Schauspielern an, während die dritte Gruppe persönlich mit Mitarbeitern der Universität sprach. Anhand der EEG zeigt sich, dass vertraute Gesichter bereits nach 400 Millisekunden wiedererkannt werden, also innerhalb von weniger als einer halben Sekunde. Die Aktivität war besonders ausgeprägt über dem rechten temporalen Kortex.

Das EEG zeigte auch die deutlichen Unterschiede: "Das Ausmaß der Vertrautheit (der Ausschlag des EEG-Signals) war abhängig davon, wie die Probandinnen und Probanden die Gesichter gezeigt bekommen haben. Es war besonders stark sichtbar nach dem persönlichen Kontakt, schwächer nach der Fernsehsendung, aber nicht messbar nach dem Betrachten von Fotos", heißt es in einer Aussendung zu der Studie. "Wenn wir das Gesicht einer Person sehen, wissen wir oft sofort, ob wir sie schon einmal gesehen haben oder nicht", erklärt der Neurowissenschafter Gyula Kovács, der Leiter der Studie. "Unsere Experimente zeigen, dass sich dieses Gefühl der Vertrautheit besonders stark und dauerhaft nach einer persönlichen Begegnung einprägt." Über die neuronalen Mechanismen von Vertrautheit sei noch recht wenig bekannt, schreiben die Forscher, obgleich man wisse, dass der Mensch als soziales Wesen darauf angewiesen ist, vertraute und unvertraute Personen zu unterscheiden. Die Forschung legt die Vermutung nahe, dass sich alles, was man mit allen Sinnen erfahren kann, doch am stärksten einprägt Dass Zoom & Co. nicht alle Sinne ansprechen, ist aber mitunter vielleicht ein Glück.(cal)