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Der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will nach eigenen Worten mit 59 Jahren keine "Diktatoren-Karriere" mehr starten. Nun ja, er hat schon bessere Schmähs gemacht, doch vielleicht war es auch gar keiner. Juncker zeigte mit diesem Satz selbst auf seinen Stellvertreter, Frans Timmermans. Der niederländische Sozialdemokrat ist der neue starke Mann an der Seite des Christdemokraten Juncker. Timmermans wird über TTIP entscheiden, das Freihandelsabkommen mit den USA. Timmermans wird über vieles entscheiden in der künftigen Kommission. Juncker versteht sich als langjähriger Spitzenpolitiker wohl eher als Aufsichtsratsvorsitzender denn als Geschäftsführer der Kommission.
Damit erfindet er schon wieder etwas neu. Jose Manuel Barroso hat sich selbst wohl eher als Behördenleiter definiert, Juncker wird die politische Richtung weisen. Der fleißige, kluge und fünfsprachige Timmermans wird die Operation in Brüssel mehr oder weniger leiten.
Damit vollzieht Juncker noch einen Schwenk, nämlich die Etablierung einer großen Koalition auf europäischer Ebene. Bei der Abstimmung über die neue EU-Kommission standen Grüne und EU-kritische Fraktionen plötzlich als parlamentarische Opposition da. Auch das gab es im EU-Parlament bisher selten. Die jeweiligen "Binnen-Meinungen" von Sozial- und Christdemokraten der 28 EU-Länder unterscheiden sich gewaltig. Abstimmungen gingen daher oft quer durch alle Fraktionen. Das wird sich ändern, auch wegen des deutschen Parlamentspräsidenten Martin Schulz, der sehr gut mit Juncker kann. Dessen neue Organisation mit Timmermans und fünf weiteren Vizepräsidenten bedeutet für die Regierungschefs gar nichts Gutes. Sie haben als "Europäischer Rat" im Zuge der Schuldenkrise Macht angehäuft, die sie so nicht halten werden können.
Ein Juncker, der nicht den ganzen Tag in quälenden Sitzungen verplempert, weil ihm das die Vizepräsidenten abnehmen, wird viele Ideen entwickeln. Und seine Position garantiert ihm dafür auch europaweite Öffentlichkeit. Der smarte Timmermans kann sich in vielen Sprachen in den EU-Ländern direkt mitteilen, auch das macht es den Regierungschefs nicht leichter. Sie werden die Deutungshoheit über die EU verlieren. Bisher wurde vieles politisch Unangenehme auf "Brüssel" geschoben. Damit ist es bald vorbei. Für Europa ein echter Fortschritt.