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Viel Geographie, wenig Geschichte

Von Wendelin Ettmayer

Politik

Die Außenpolitik Kanadas ist, wie die eines jeden anderen Landes, bestimmt von seiner Geographie und von seiner Geschichte. Die Besonderheit Kanadas liegt nun darin, dass es sehr viel Geographie, weniger Geschichte und eine nicht allzu große Einwohnerzahl hat. Auf den 9,970.610 km² (119-mal die Größe von Österreich), die Kanada zum zweitgrößten Land der Erde machen, lebten im Jahr 2000 nur 30 Millionen Menschen. Und diese sind wiederum auf einen Landstreifen konzentriert, der sich in einer Breite von zirka 200 km von Ost nach West entlang der Grenze zu den USA zieht.


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Noch vor zwei Generationen war Kanada auch eine militärische Großmacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das Land, bei damals lediglich 11 Millionen Einwohnern, 1 Million Menschen unter Waffen und stellte damit die viertgrößte Luftwaffe und die drittgrößte Flotte der Welt. Diese Stellung als militärische Großmacht, die gewaltige wirtschaftliche Mittel verschlang, war auf die Dauer nicht zu halten. Kanada konzentrierte sich daher in der Folge darauf, in internationalen Organisationen eine Rolle zu spielen, auf multilateraler Ebene außenpolitische Initiativen zu ergreifen und, wenn notwendig, auch vermittelnd einzugreifen.

"To make a difference" in der Friedenserhaltung

Ziel der Außenpolitik Kanadas, als Gründungsmitglied der NATO fest im Westen verankert, wurde es, "to make a difference", also auf internationaler Ebene seine besondere Note zu hinterlassen. Kanada wollte also in der Welt eine Position erreichen, die im Einklang mit seiner Größe, seinen Ressourcen und seiner Leistungsfähigkeit stand und vor allem dort zum Tragen kommen soll, wo es um die Erhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit ging. In diesem Sinne gehen die Peace-Keeping-Einsätze der Vereinten Nationen auf eine kanadische Initiative zurück, das ganze Feld der "Human Security", von den Menschenrechten bis zu den Landminen hatte stets einen besonderen Stellenwert in der kanadischen Außenpolitik.

Es ist Kanada damit zweifellos gelungen, eine "externally observable political identity" zu erreichen. Dies vor allem auch deshalb, weil die Kanadier stets betonten, dass für sie ihr damit gegebener Status einer "Middle Power" damit verbunden ist, wenn notwendig auch Verantwortung zu übernehmen.

Im folgenden soll nun dargelegt werden, wo Kanada die Ziele seiner Außenpolitik sieht bzw. welchen Beitrag das Land zur Gestaltung der internationalen Beziehungen leistet.

Außenpolitik zwischen Realismus und Idealismus

Die kanadische Außenpolitik ist einerseits, man könnte sagen selbstverständlich, auf die Förderung von Sicherheit und Wohlfahrt des eigenen Landes ausgerichtet, andererseits geht es darum, der Welt "kanadische Werte" zu vermitteln. So sehr man also einerseits versucht, die Prosperität des Landes durch Handel zu fördern, so sehr die Einbindung in das Nordatlantische Bündnis auch mit Realpolitik verbunden ist, so sind die Kanadier auch bemüht, mit Idealismus ihren Beitrag zu Peace-Keeping, Human Security und zur Entwicklungspolitik zu leisten. Insgesamt geht es also darum, Interessenspolitik und Wertbewusstsein in Einklang zu bringen, wobei verschiedene Epochen bzw. unterschiedliche politische Meinungen auch unterschiedliche Akzentsetzungen mit sich bringen.

Als etwa Lloyd Axworthy, ein Vorkämpfer der Human Security-Außenpolitik, im Oktober 2000 als Außenminister zurücktrat, qualifizierte die angesehene "National Post" seine Politik als "disastrous" und schrieb: "Under the rubric of ,soft power' and ,human security' Canada's conduct of foreign affairs has become a national embarrassment and an international disgrace." Man sollte sich wieder auf die traditionellen Verbündeten des Landes, Israel und die Vereinigten Staaten konzentrieren, und diese nicht vor den Kopf stoßen. In diesem Sinne äußerte sich auch der Vorsitzende der "Canadian Alliance", Stockwell Day, der ebenfalls Axworthy vorwarf, er hätte die Beziehungen zu den USA immer leichtfertig aufs Spiel gesetzt und zu wenig für die NATO getan.

Zu Wohlfahrt und Sicherheit durch Handelsförderung

Für Kanada ist die Förderung des Handels und seiner Wirtschaft ein ganz vorrangiges Ziel seiner Außenpolitik. In diesem Sinne heißt das Außenministerium auch offiziell "DFAIT, also Department of Foreign Affairs and International Trade". Ein Drittel seiner 9.000 Beschäftigten befassen sich mit Wirtschaftsfragen.

Im Jahre 1999 exportierte Kanada Güter im Werte von 355 Mrd. Kanadischer Dollar, was bei einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 958 Mrd. Kan. Dollar immerhin 37% ausmacht (ein Kan. Dollar entspricht 10,58 Schilling). Eine Besonderheit besteht zweifellos darin, dass 87% der Exporte in die USA gehen; lediglich 2,36% an den nächstgrößten Handelspartner, Japan, während auf Westeuropa 4,84% entfallen (aus Österreich importierte Kanada 1999 Güter im Werte von 647 Mill. Kan. Dollar, während um 208 Mill. Kan. Dollar nach Österreich exportiert wurde, was einem Wert von 0,06% der kanadischen Exporte entspricht).

Ein Drittel der Kanadier in der Exportwirtschaft

Die wichtigsten Exportbranchen waren 1999 Autozubehör (94,4 Mrd. Kan. Dollar); Maschinen und Ausrüstung (77,8 Mrd. Kan. Dollar); Industriegüter (53,9 Mrd. Kan. Dollar); Holz und Papier (41,1 Mrd. Kan. Dollar); Energie (30 Mrd. Kan. Dollar); Landwirtschaft und Fischerei (24,7 Mrd. Kan. Dollar); und Konsumgüter (11,5 Mrd. Kan. Dollar).

Die Importe betrugen im Jahr 1999 insgesamt 320 Mrd. Kan. Dollar, die sich vor allem auf folgende Bereiche verteilten: Maschinen und Ausrüstung (108,5 Mrd. Kan. Dollar), Autozubehör (75,8 Mrd. Kan. Dollar), Industriegüter (61,7 Mrd. Kan. Dollar), Konsumgüter (37 Mrd. Kan. Dollar), Landwirtschaft und Fischerei (17,6 Mrd. Kan. Dollar), Energie (10,5 Mrd. Kan. Dollar) sowie Holz und Papier (2,7 Mrd. Kan. Dollar). Sehr hoch sind auch die kanadischen Direktinvestitionen im Ausland, die sich bis 1999 auf insgesamt 257 Mrd. Kan. Dollar beliefen, während zum selben Zeitpunkt ausländische Investitionen in Österreich 240 Mrd. Kan. Dollar betrugen und damit 30% aller Arbeitsplätze schufen.

Die kanadische Wirtschaft ist also sehr stark mit dem Weltmarkt verflochten. Immerhin ist das Land der sechstgrößte Exporteur in der ganzen Welt. Alleine die Provinz Ontario, mit der Hauptstadt Toronto, verkauft mehr in die USA als Japan. Kanadas Exporte und Importe zusammen machen 70% des BIP aus, gegenüber 24% in den USA und 21% in Japan. Während der 90er Jahre waren die Exporte auch ein wesentlicher Motor bei der Überwindung der zu Beginn des Jahrzehnts bestehenden Wirtschaftskrise, der Handel wird als wichtige Grundlage für die Schaffung von Prosperität und Arbeitsplätzen gesehen. Immerhin ist ein Drittel aller Kanadier in der Exportwirtschaft beschäftigt.

Die offizielle kanadische Politik ist daher nicht nur bemüht, in internationalen Gremien auf multilateraler Ebene Handelsbarrieren abzubauen, Ministerpräsident Chretien hat, zur Förderung kanadischer Exporte, das "Team Canada" ins Leben gerufen. Dieses "Team Canada" umfasst, unter Leitung des Ministerpräsidenten, Politiker aus verschiedenen Provinzen, Wirtschaftskapitäne und Wissenschafter. Seine Aufgabe ist es, durch Wirtschaftsmissionen den Boden für kanadische Exporte aufzubereiten. Bisherige Missionen gingen vor allem in jene Länder, wo man sich durch Kontakte mit Regierungsstellen Aufträge erwartet, also nach China, Süd- und Ostasien. Laut offiziellen Angaben haben die vom "Team Canada" zwischen 1994 und 2000 durchgeführten Handelsmissionen 1.800 Unternehmungen geholfen, Exportgeschäfte im Wert von 24,4 Mrd. Kan. Dollar durchzuführen.

Dass man auch in schwierigen Situationen zur eigenen Wirtschaft steht, zeigte sich, als die US-Amerikaner im Februar 2000 Sanktionen gegen den kanadischen Ölkonzern "Talisman" in den Raum stellten, der sich - zusammen mit China und Malaysia - am "Upper Nile Oil Project" im Sudan beteiligte. Die Antwort von Außenminister Axworthy, sonst ein Vorkämpfer für Menschenrechte, war sehr klar: "Wir machen unsere eigene Außenpolitik und lassen uns diese nicht von den Vereinigten Staaten diktieren". Argumente, wonach die Aktivitäten des kanadischen Konzerns im Sudan dazu beitragen würden, den Bürgerkrieg und die Unterdrückung von Minderheiten in diesem Lande zu verlängern, beeindruckten das offizielle Kanada wenig. Dass man, bei aller Weltoffenheit, auf Eigenständigkeit und eigene Interessen bedacht ist, zeigte sich auch, als der gewählte mexikanische Präsident Vicente Fox im August 2000 Kanada besuchte.

Sein Vorschlag, in Nordamerika eine gemeinsame Währung bzw. eine "Art Europäische Union" einzurichten, fand auf kanadischer Seite wenig Gegenliebe: Bei einem so großen Partner wie den USA wäre die Gefahr, immer wieder überstimmt zu werden, sehr groß - und außerdem lege man Wert darauf, in Abgrenzung zum übrigen Nordamerika, die eigene Lebensweise zu bewahren.

Die NATO als Rückgrat der Sicherheitspolitik

Das Rückgrat der kanadischen Sicherheitspolitik ist die Mitgliedschaft in der NATO. Dazu kommt noch eine gemeinsame Verteidigung des nordamerikanischen Luftraumes zusammen mit den USA im Rahmen von NORAD (North American Air Defence Agreement). Dabei ist eines ganz wichtig: In Kanada sieht man die kanadische und die europäische Sicherheit als Einheit. Man will nicht nur mit den USA, sondern auch mit jenen europäischen Ländern zusammenarbeiten, mit denen man gleiche Werte und gleiche Interessen teilt.

Kanada war nicht nur Gründungsmitglied der NATO, es war durchaus eine kanadische Idee, dass sich die Demokratien beiderseits des Atlantik zu einer Verteidigungsgemeinschaft zusammenschließen sollten. Dies vor allem als Schutz gegen die damals bestehenden expansionistischen Bestrebungen der UdSSR, wobei es auch darum ging, die USA einzubinden, wo der Kongress isolationistische Tendenzen zeigte. Als die Allianz dann 1949 gegründet wurde, wurde auf Grund einer kanadischen Initiative der Artikel 2 in den Vertrag aufgenommen, wonach das Bündnis nicht nur militärische, sondern auch politische und wirtschaftliche Ziele verfolgen sollte.

Die NATO hat für Kanada den Vorteil, dass durch diese Allianz nicht nur ein Bündnis mit den USA entstand, gleichzeitig wurde das gewaltige Übergewicht Amerikas durch die europäischen Partner relativiert. Kanada gewann also durch das NATO-Bündnis sowohl mehr Schutz als auch mehr Einfluss. Die Kanadier wissen dies durchaus zu schätzen: Bei einer im Februar 1997 durchgeführten Meinungsumfrage erachteten zwei Drittel der Befragten Kanadas Rolle in der NATO als "sehr wichtig" bzw. "durchaus wichtig".

Wird fortgesetzt