Der Streit um einen US-Gesetzesentwurf zur Verbesserung der Wirtschaft in Afghanistan ist ein Armutszeugnis für die Regierung von Barack Obama.
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Wenn ich heute an mein Gespräch mit dem pakistanischen Armee-Kommandanten Khalid Rabbani im Oktober in Wana, im Süden Waziristans, tief in den Stammesgebieten, zurückdenke, ist mir das ziemlich peinlich. Rabbani startete damals gerade eine Offensive gegen die Taliban, aber fürchtete, alle militärischen Anstrengungen könnten letztlich scheitern, wenn Pakistan nicht gleichzeitig durch wirtschaftliche Entwicklung einen Aufschwung erfahre. Nur ein wenig Geduld müsse er haben, sagte ich ihm: Im US-Kongress werde bereits an einem Gesetzesentwurf gearbeitet, der ein erster Schritt zu mehr Arbeitsplätzen in der Region sein solle.
Jetzt, neun Monate später, ist dieser Plan noch immer Gegenstand von Parteien-Hickhack. Es ist unglaublich (oder besser: ekelerregend), dass derart engstirnige Streitereien eine Maßnahme blockieren, die so offensichtlich im Sicherheitsinteresse der USA ist. Die Mitglieder des Kongresses haben offenbar vergessen, dass der Plan helfen würde, die Al-Kaida-Zufluchtsorte zu untergraben. Über der Grenze in Afghanistan sterben US-Soldaten, US-Bürger überall auf der Welt sind bedroht von Terroristen aus dieser Gegend.
Die Regierung von US-Präsident Barack Obama ist für den Entwurf eingetreten, allerdings nicht sehr effektiv. Um unmittelbar auf die militärischen Aktionen zu folgen, müsste die Ausweitung der wirtschaftlichen Möglichkeiten jetzt erfolgen, teilte bereits vor mehr als einem Jahr Richard Holbrooke, der US-Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, dem Kongress mit. Die US-Regierung war aber bisher dennoch nicht in der Lage, einen Kompromiss zustande zu bringen - obwohl die Demokraten in beiden Häusern eine starke Mehrheit haben. Das ist ein armseliger Auftritt und ein weiterer Beleg dafür, wie sehr die US-Regierung durch Parteienstreitereien beeinträchtigt ist.
Der Entwurf sieht zollfreie Exporte von Textilien und anderen Produkten aus dieser Region in die USA vor. Das ist keine Wunderkur, aber ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Doch jedes Mal, wenn ein Kompromiss in greifbare Nähe rückt, kommt Protest von Wirtschafts- und Arbeiterverbänden. Die Pattsituation könnte durch Intervention des Weißen Hauses durchbrochen werden, dieses war jedoch bisher nicht gewillt, sein knappes politisches Kapital hier einzusetzen. "Es ist so frustrierend", sagt die Washingtoner Senatorin Maria Cantwell, die den Entwurf unterstützt: "Irgendwie erhält die Angelegenheit niemals den Grad an Wichtigkeit, der ihr zustehen würde."
Während man in Washington fern eines Kompromisses hin- und hergerissen ist, plant die Al-Kaida mit ihren Verbündeten vom sicheren Unterschlupf in Waziristan aus weiterhin tödliche Angriffe. Die übelsten Bombenangriffe der letzten Monate waren gegen pakistanische Ziele gerichtet. Und die Pakistaner, die seit drei Jahren mit US-Versprechen über neue Möglichkeiten in ihrer Region abgespeist werden, wundern sich mittlerweile wohl, wieso die große Supermacht mit der Sache nicht fertig wird. Pakistans führende Wirtschaftsverbände haben jedenfalls den Deal bereits abgesegnet.
Um nun aber zum eingangs erwähnten pakistanischen General zurückzukommen: Rabbani warnte mich, dass sein militärischer Vorstoß ins Wanken geraten werde, wenn man nicht binnen eines Jahres für bessere wirtschaftliche Möglichkeiten in Waziristan sorge. Es bleibt also nicht mehr viel Zeit, um einen Kompromiss für einen bescheidenen Aufschwung in dieser Region auszuhandeln. Bis dahin steht das legislative Debakel als weiteres Symptom für unser dysfunktionales politisches System vor aller Augen.
Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post". Englischsprachige Originalfassung