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Gesellschaftspolitisch stehen wir vor einem Phänomen: Während üblicherweise in einer Krise die Menschen zusammenrücken, zerfällt die Gesellschaft derzeit in viele "Ich-AGs". Das Schielen nach dem eigenen Vorteil hat zwei Aspekte: Erstens schauen viele Menschen rücksichtslos, so viel wie möglich zusammenzuraffen, zweitens ist auch niemand mehr für irgendwas verantwortlich - bloß noch anonyme Strukturen.
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"Ich habe mir nichts vorzuwerfen" war einer am öftesten gehörte Sätze dieses Jahres. Ob von Bankern, Aufsichtsbehörden, Managern, Politikern oder auch "Supersauber"-Grasser.
Langatmige Erklärungen, die niemand mehr versteht, treten an die Stelle der Verantwortung. Ob am Flughafen Wien, bei der Buwog-Affäre, im Justizministerium, der Fremdenpolizei, der EU-Kommission, der Lehrergewerkschaft, dem Olympischen Komitee, der Kirche: Vieles ging und geht schief. Unfähigkeit (davon gibt es besonders viel), Korruption, menschenverachtendes Vorgehen, miserable Organisation, Verschwendung von Steuergeld - das alles gibt es.
Erstaunlich daran ist, dass niemand mehr verantwortlich ist. Die Dinge laufen weiter, als ob es nichts davon gibt. Fehlleistungen werden nicht mehr sanktioniert, sondern oft noch mit üppigen Abfindungen zugedeckt wie das angebliche Hirschragout von der Sauce. Rücktritte in der Politik? In diesem Land so gut wie unbekannt.
Dieses Verhalten der "Eliten" dringt natürlich durch alle gesellschaftlichen Schichten. Wenn der General für nichts verantwortlich ist, warum sollte es der gemeine Soldat sein? So etwas kann auch Verlotterung der Sitten genannt werden. Während der Feiertage wird in Reden, Predigten und Schriften wieder das Gemeinsame betont, das verbindende und verbindliche "Wir". Danach werden die Ich-AGs wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren, leicht frustriert. Sie werden sich geärgert haben, weil in der Familie alle nur noch an sich denken.. .
Und werden froh sein, im Job endlich wieder ausschließlich an sich denken und jegliche Verantwortung weit von sich schieben zu können. Wie kann es wieder eine nachhaltige und positive Einschätzung der Zukunft geben? Eine Antwort darauf gibt es nicht, denn es ist vermutlich niemand dafür verantwortlich . . .