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Viel Lärm um neue Verträge

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Mit seiner Rede heizt der britische Premier Cameron die Debatte um eine Änderung der EU-Abkommen erneut an


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Brüssel. Verträge sind dazu da, um geändert zu werden. Zumindest aus der derzeitigen Sichtweise Londons. Die Bande, die zwischen Großbritannien und der Europäischen Union geknüpft sind, trügen das Verhältnis nämlich nicht mehr, findet der britische Premier David Cameron. Er wünscht sich eine Neuverhandlung der Beziehungen zwischen der Insel und dem Kontinent. Danach solle sich das britische Volk entscheiden, ob es in der EU bleiben wolle oder nicht. An eine Bedingung ist das Referendum allerdings geknüpft: Die Konservativen müssen 2015 wiedergewählt werden.

Einen glühenden Appell für Europa hat von Cameron niemand erwartet. Überhaupt sei das Verhältnis seines Landes zur EU sowieso schon immer mehr rational denn emotionell gewesen, erklärte der Politiker bei seiner Rede in London. Daher vergaß er auch nicht, den wirtschaftlichen Aspekt zu betonen. Ein klares Ja zum gemeinsamen Markt, ein schon abgeschwächtes Ja zur Zusammenarbeit in der Außenpolitik und vage Unterstützung für die Eurozone - was wiederum den eigenen ökonomischen Interessen nutzt. Dies umreißt Londons Vorstellungen von der künftigen Kooperation mit der EU. Die Mitarbeit am Aufbau einer politischen Union, an einer Vertiefung der Gemeinschaft passt da nicht hinein.

Ein neues Abkommen mit der EU müsse also her. Vergessen scheint das mühevolle Ringen um den Vertrag von Lissabon, auf den sich die Mitgliedstaaten nach Jahren geeinigt hatten. Und dass zuvor schon ein Versuch gescheitert ist, eine Verfassung für Europa zu schaffen, dürfte die Briten ebenso wenig kümmern. In ihrem eigenen Land haben sie auch kein geschriebenes Grundgesetz.

Doch mit einem hat Cameron recht. Die Zeit für eine Debatte um neue EU-Verträge sei gekommen, sagte er am Rande seiner Rede. Diese Diskussion wird tatsächlich bereits geführt. Nur läuft sie in eine andere Richtung, als es sich Großbritannien wünscht.

Wien wünscht sich Konvent

Dabei hat das Land selbst dazu beigetragen, neue Ideen für die Zusammenarbeit in Europa zu wälzen, damit dieses nicht durch Blockaden Einzelner gelähmt wird. Als Großbritannien und Tschechien den Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin nicht mittragen wollten, haben die anderen Mitglieder sich ohne die beiden Staaten darauf geeinigt. Auch von der Einführung einer Steuer auf Finanzgeschäfte lässt sich ein knappes Dutzend Regierungen vom Widerstand aus London nicht aufhalten. Ob Etablierung einer gemeinsamen Aufsicht für Geldinstitute, Schaffung einer Bankenunion oder mögliche Verlagerung von Kompetenzen nach Brüssel - längst diskutieren einzelne Staaten Visionen, die von anderen abgelehnt werden.

So hat sich der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble bereits laut Gedanken über eine Stärkung der Europäischen Kommission gemacht. Diese könnte mehr Einfluss auf die Erstellung der nationalen Budgets haben, womit die Staaten selbst an Macht verlieren. In Deutschland würde das eine Verfassungsänderung notwendig machen. Doch müssten die Bürger das nun einmal in Kauf nehmen, wenn auch die EU-Verträge geändert werden sollen, meint Schäuble. Der Zweck sei aber nicht zuletzt eine bessere Absicherung des Wohlstandes in der EU.

Der Weg dahin würde wohl über einen Konvent führen, eine Debatte, die alle EU-Institutionen aber auch Vertreter der Zivilgesellschaft einbindet. Mit der Einberufung hat es Berlin schon nicht mehr so eilig. Da ist der Ruf aus Wien deutlicher: Bundeskanzler Werner Faymann sprach sich bereits für die baldige Bildung eines Konvents aus, der die Reformen vorbereitet.

Unmut im EU-Parlament

Diese seien notwendig, um die Union handlungsfähiger und disziplinierter zu machen, finden auch die Präsidenten des EU-Rates und der EU-Kommission, Herman Van Rompuy und Jose Manuel Barroso. Doch rechnen sie nicht mit einem Konvent vor der EU-Parlamentswahl im kommenden Jahr. Ihre Vorschläge sehen ebenfalls mehr Integration vor: mehr Finanzkontrollen auf EU-Ebene, mehr gemeinsame Außenpolitik, mehr Kompetenzen für das EU-Parlament.

Es ist das Gegenteil davon, was Cameron vorschwebt. "Es gibt keinen europäischen Demos", stellte der Premier fest. Die Macht der Demokratie sollte vielmehr von den nationalen Parlamenten ausgehen. Die Länder hätten nun einmal unterschiedliche Interessen, und diese Vielfalt sei auch nicht zu verdammen, sondern zu begrüßen.

Diese Vorgabe gefällt dem Europäischen Parlament wiederum gar nicht. Seit einiger Zeit pochen die Abgeordneten darauf, Entscheidungen wieder "demokratisch zu legitimieren". Mit Unmut nahmen sie nämlich hin, dass die Mitgliedstaaten Beschlüsse wie den Fiskalpakt lediglich untereinander getroffen hatten, ohne die Volksvertretung so einzubinden, wie sie es sich gewünscht hätte.

Zusätzliche Sonderrechte für Großbritannien wollen die Mandatare daher schon gar nicht gelten lassen. Ausnahmen wie etwa ein Rabatt auf die Zahlungen in den EU-Haushalt "belasten schon jetzt die Solidarität in der EU", erklärt der Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas. Der ÖVP-Abgeordnete wirft Cameron Erpressung vor.

Ein Shakespeare-Zitat hat wiederum der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Hannes Swoboda, parat. Die Rede des britischen Premierministers kommentierte er mit dem Titel eines Stücks: "Viel Lärm um nichts". Die Ansprache sei ein "absurd früher" Auftakt einer innenpolitischen Wahlkampagne gewesen. Die werde kaum dabei helfen, den Menschen Jobs oder leistbare Wohnungen zu verschaffen.

Zurückhaltender gab sich die EU-Kommission. Cameron habe eine "wichtige Rede" zur Diskussion in Europa gehalten, hieß es aus der Brüsseler Behörde. Dass etliche andere EU-Akteure das mehr als Drohung denn als konstruktiven Beitrag ansehen, blieb unerwähnt.