Der Streit um die Schutzmachtfunktion Österreichs für Südtirol wirkt auf den ersten Blick wie viel Lärm um nichts. Seit dem Abschluss des Pariser Vertrags 1946 hat Österreich das Recht, als Garantiemacht auf die Einhaltung der Autonomierechte Südtirols zu pochen. Von diesem Recht hat Wien in der Vergangenheit immer wieder Gebrauch gemacht.
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Die Verankerung der Schutzmachtfunktion in der österreichischen Verfassung, wie sie Nationalratspräsident Andreas Khol fordert, würde am Faktischen nichts ändern. Ändern würde sich höchstens die Entschlossenheit, mit der Österreich die dem Vertrag zugrunde liegenden Rechte und Pflichten wahrnimmt. Bis jetzt kann Österreich völkerrechtlich für Südtirol aktiv werden; mit der Aufnahme in die Verfassung würde es sich auf nationaler Ebene selbst dazu verpflichten.
Den Schutz für Südtirol in die Verfassung aufzunehmen ist daher eine rein innerösterreichische rechtliche Entscheidung, klare Verhältnisse zu schaffen. Denn: Wozu gibt es einen Vertrag, wenn man ihn nicht zu erfüllen gedenkt?
Und doch kommen laute Proteste aus Rom. Die Palette an Vorwürfen reicht von unberechtigter Einmischung Österreichs bis hin zum Loyalitätsbruch Südtirols gegenüber Italien. Es wirkt verwunderlich, dass Italien negativ auf einen völkerrechtlich gültigen Vertrag reagiert, der bisher erfüllt wurde.
Was sich für Italien ändert ist, dass Rom nicht mehr auf ein Einschlafen der Angelegenheit beziehungsweise auf ein diskretes Wegschauen von österreichischer Seite hoffen kann. Durch einen entsprechenden Passus in der Verfassung wäre Österreich - völkerrechtlich gedeckt - gezwungen, in jeder Situation aktiv zu werden, bei der Südtirols Rechte gefährdet sind.
Der Streit an sich ist nichts Neues. Neu ist hingegen, dass ein EU-Kommissar in der Angelegenheit aktiv wird. Franco Frattini hob das Streitthema erstmals auf eine europäische Ebene. In einem Interview erklärte der Justizkommissar dieser Tage, dass es inakzeptabel sei, "dass in einer Verfassung eine 'Schutzfunktion' über die Bürger eines anderen EU-Mitgliedstaates eingetragen wird". Solche Angelegenheiten könnten nicht mehr aus nationalen Perspektive gelöst werden.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder hat Frattini als Italiener gesprochen, dann fiele seine Aussage nicht weiter ins Gewicht. Oder er hat als Justizkommissar der EU gesprochen. Dann hätte er ganz offiziell dem Pariser Abkommen jegliche Existenzberechtigung abgesprochen und somit den Startschuss für eine Debatte über die Zukunft Südtirols gegeben.
Wie angenehm dies für Italien wäre, ist fraglich. Denn einerseits gilt die Europaregion Tirol (Nordtirol, Südtirol und Trentino) innerhalb der EU als großes Vorbild für vernünftige Politik zwischen den Volksgruppen. Andererseits würde eine Lösung neu diskutiert, die 1946 für Italien durchaus vorteilhaft war.