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Viel Lärmen um wenig Geld

Von Katharina Schmidt

Politik

Gusenbauer sorgte mit seiner Forderung nach "800 Euro für jeden" für Wirbel. | Kosten dürften höher sein, als von der SPÖ geschätzt. | Harmonisierung der Sozialsysteme wünschenswert, aber problembehaftet. | Wien. "Jeder soll zumindest über eine Grundsicherung von 800 Euro verfügen können. Als Rechtsanspruch." Am vergangenen Montag, einen Tag nach seinem überraschenden Sieg bei der Nationalratswahl, hat SPÖ-Chef und Kanzlerkandidat Alfred Gusenbauer in "Österreich" ein großes Wort gelassen ausgesprochen. Denn was genau die Sozialdemokraten mit dem Schlagwort "Grundsicherung" meinen, das haben sie bis heute nicht verraten.


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Doch allein schon die Eckpunkte des vom Salzburger Soziallandesrat Erwin Buchinger entworfenen Konzepts (siehe Grafik unten) lassen mehr Fragen offen, als sie beantworten.

So soll etwa die Umsetzung durch eine Harmonisierung der bisherigen sozialen Netze - also Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Sozialhilfe - nach dem "One-Stop-Shop-Prinzip" erfolgen. Dazu muss zunächst die in den Bundesländern unterschiedlich geregelte Sozialhilfe harmonisiert werden - ein Unterfangen, an dem sich bisher noch jede Regierung die Zähne ausgebissen hat. Denn die Sozialhilfe wird zwar im Prinzip vom Bund über den Finanzausgleich finanziert, die Länder werden sich jedoch nur ungern von ihren Kompetenzen trennen.

"Sozialhilfe soll bei den Ländern bleiben"

Das zeigt allein schon das Beispiel Wien: In der von der SPÖ absolut regierten Hauptstadt hält man die Grundsicherung für eine gute Idee - "die Sozialhilfe soll aber bei den Ländern verbleiben", heißt es aus dem Büro von Sozialstadträtin Renate Brauner. Auch im Kabinett von Noch-Sozialministerin Ursula Haubner glaubt man nicht an eine baldige Lösung des Problems: Man habe schon in der vergangenen Legislaturperiode die Harmonisierung der Sozialhilfe angeregt - ohne Erfolg. Eine Grundsicherung hält Haubner-Sprecher Heimo Lepuschitz generell "für einen unfinanzierbaren Wahnsinn".

Die Frage der Finanzierbarkeit ist eng mit jener nach dem begünstigten Personenkreis gekoppelt. Laut Buchinger ist es nämlich "grundsätzlich egal, ob ich Pensionist, Student oder Arbeitsloser bin" - die Meldung beim Arbeitsmarktservice und weniger als 800 Euro Verdienst sollen als einzige Anspruchsvoraussetzungen gelten. Sollte tatsächlich ein derart großer Personenkreis in den Genuss der Grundsicherung kommen, werden die Ausgaben auch laut Bernhard Felderer vom Institut für Höhere Studien um einiges höher sein als die von der SPÖ veranschlagten 660 Millionen Euro. Dazu kommt, dass derzeit rund 460.000 Menschen in Österreich in verfestigter Armut leben - geht man von der allgemeinen Definition aus, dass arm ist, wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens, dieser Wert entspricht derzeit etwa 850 Euro, verdient. Auch die Reichweite der Maßnahme (laut SPÖ: "mehr als 400.000") dürfte also zu kurz gegriffen sein.

"Schlag ins Gesicht" der Arbeitnehmer?

Ein Grund für das beharrliche Schweigen der SPÖ über die Details des Konzepts sind die bevorstehenden Regierungsverhandlungen: Man will sich nicht in die Karten schauen lassen und mögliche Gegenreaktionen erst gar nicht provozieren. Denn die Begeisterung der ÖVP ist enden wollend. So hat Innenministerin Liese Prokop die Idee jüngst als "urkommunistisch" bezeichnet, schon 1997 bezeichnete der damalige ÖVP-Generalsekretär Othmar Karas das Grundsicherungskonzept des Liberalen Forums als "weitere Variante von Staats-Sozialismus".

Erst 2005 hat der Christgewerkschafter Fritz Neugebauer die von den Grünen geforderte Grundsicherung einen "Schlag ins Gesicht derjenigen, die voll im Arbeitsprozess stehen", genannt. Dass 800 Euro monatlich an arbeitslosem Einkommen die Missbrauchsgefahr erhöhen, glaubt auch Buchinger, Missbrauch werde man aber ohnehin nie verhindern können, sagt er.

"In-work-benefits" statt arbeitsloser Leistungen

Eine Lösungsmöglichkeit für den Spagat zwischen sozialer Absicherung und Vorrang des Arbeitseinkommens ist das Prinzip der "in-work-benefits", deren Ausbau die OECD schon vor einigen Jahren empfohlen hat. Der Staat subventioniert Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich und schafft so Anreize, auch schlechter bezahlte Jobs anzunehmen. Allerdings funktioniert dieses System nur dann, wenn gleichzeitig die arbeitslosen Leistungen stark gekürzt werden. Laut Felderer ist das hohe Niveau der Arbeitslosen- und Notstandshilfe in Österreich ein Grund dafür, dass etwa das im Februar eingeführte Kombi-Lohn-Modell auf wenig Resonanz stößt.

Eine weitere Form der "in-work-benefits" ist etwa die in den USA und Großbritannien erfolgreich eingeführte Methode, Schlechtverdiener durch die Auszahlung von Negativsteuern zu unterstützen. In den Niederlanden erhalten Sozialhilfeempfänger, die eine nur geringfügig besser entlohnte Arbeit annehmen, einen kleinen Teil der Sozialhilfe während der ersten Zeit im neuen Job weiterhin ausbezahlt. Auch gibt es die Möglichkeit, dass der Staat eine zeitlang die Lohnnebenkosten übernimmt.

Problematisch ist das SPÖ-Modell auch deshalb, weil unterschiedliche Systeme vereinheitlicht werden sollen: Die Sozialhilfe wird über die Steuern finanziert, Arbeitslosengeld und teilweise auch Notstandshilfe sind hingegen Versicherungsleistungen. Die Vereinbarkeit dieser beiden Systeme dürfte kostenintensive Umwälzungen im Sozialsystem mit sich bringen. Sehr wohl sinnvoll wären laut Felderer aber einheitliche Mindeststandards für Notstands- und Sozialhilfe.

Die Grundsicherung zieht also einen Rattenschwanz an Problemen hinter sich her, kann aber auch eine Startunterlage für eine Vielzahl sein. Die SPÖ besteht jedenfalls nicht mehr um jeden Preis auf dem Modell: Bundesfrauenvorsitzende Barbara Prammer und Salzburgs Landeshauptfrau Gabi Burgstaller haben sich bereits von der Grundsicherung als Knackpunkt der Koalitionsverhandlungen distanziert.