Man sollte denken, die Bürger hätten ein Recht zu erfahren, wie die offizielle Haltung Österreichs in wichtigen Fragen lautet. Falsch gedacht.
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Woran erkennt man die wirklich wichtigen Dinge? Nun, in Österreich zumindest daran, dass sich die führenden Verantwortungsträger nur höchst widerwillig auf eine Weise damit auseinandersetzen, dass die Bürger hinterher auch wissen, was deren Standpunkt ist. Diese bemerkenswerte Eigenart der heimischen Elite wird noch durch die Besonderheit ergänzt, dass mit unerschöpflicher Leidenschaft den Wählern Dinge als unendlich wichtig verkauft werden, bei denen sich die Politik aber seit Jahrzehnten beharrlich weigert, die Angelegenheiten einer Lösung zuzuführen.
Der währungspolitische Kurs der Europäischen Zentralbank, kurz EZB genannt, entzweit seit Jahren die einschlägigen Experten und politischen Verantwortlichen - nur Österreich drückt sich eben so lange um eine klare Stellungnahme herum. Dass sich etwa OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny im EZB-Rat der Stimme enthielt, als dieser jüngst beschloss, die Geldschleusen für den Ankauf von Staatsanleihen noch weiter zu öffnen, erfuhr man erst hinterher und quasi en passant. Nowotny kann sich immerhin auf die statutarisch festgelegte Unabhängigkeit von OeNB und EZB berufen, was den Bedarf an politischer Erklärungsarbeit doch entscheidend reduziert.
Dass allerdings auch die Bundesregierung die Bürger über ihre genaue Haltung zur fortgesetzten Eurokrise im Unklaren lässt, ist mehr als seltsam. Offensichtlich gibt es auch in Demokratien keinen Anspruch auf ein Minimum an Erklärungspflicht gegenüber dem Souverän seitens der Verantwortungsträger. Aber Hauptsache noch Politiker der dritten Reihe haben drei Sprecher und mindestens einen Twitter-Account.
Die Zahl der Kommunikationskanäle, die ein Politiker zur Verfügung hat, steht eben in keinem direkten Verhältnis zu Umfang und Qualität seiner Kommunikationsleistung.
Mittlerweile hat die Eurokrise ein Komplexitätsniveau erreicht, das sich dem Horizont der allermeisten Mitmenschen entzieht; und angesichts der sich diametral widersprechenden Expertenmeinungen darf der Kreis der Betroffenen maximal groß gezeichnet werden, Politiker inklusive.
Solche Momente, in denen praktisch jede Meinung irgendwie legitim, jedenfalls aber nicht völlig daneben ist, sind natürlich ideal dazu angetan, am größten Mangel der heimischen Regierungsparteien zu werkeln: dem verwaschenen Profil von SPÖ und ÖVP zumindest nach außen den Anschein von weltanschaulicher Unverwechselbarkeit zu verleihen.
Das Praktische an diesen Fingerübungen im politischen Marketing ist: Sie sind allesamt realpolitisch völlig irrelevant, solange der realitätsrelevante Lackmustest bei TTIP , Eurokrise und Co hinter weitgehend verschlossenen Türen im fernen Brüssel stattfindet.
Allein auf sich gestellt würde die gewählte Politik aber daran scheitern, die Rangordnung der politischen Agenda immer wieder bis zur Unkenntlichkeit zu vernebeln. Um den Blick auf das Wesentliche nachhaltig zu verirren, ist sie schon auf tatkräftige Unterstützer angewiesen, die am allerliebsten über bevorstehende Umstürze in dieser oder jener Partei, topexklusiv natürlich, berichten oder obskure Ballveranstaltungen zu Existenzfragen einer Demokratie erklären.