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Viel trinken nicht immer ratsam

Von Rudolf Grimm

Wissen

Kaum eine medizinische Empfehlung scheint sich bei Jugendlichen so nachhaltig herumgesprochen zu haben wie "Genügend trinken"! Die bei ihnen auf der Straße, auf Sportplätzen, bei Treffs, unterwegs im Auto stets präsenten Flaschen und Dosen sind davon ein augenfälliges Zeugnis. Oder sind es doch eher die Getränkewerbung und modischer "Lifestyle" als Fitness- und Gesundheitsempfehlungen, die das bewirkt haben?


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Jedenfalls bestehen über das Trinken - wie viel und was - sehr verschiedene Vorstellungen bei Jung und bei Alt. Kein Zweifel: Trinken ist wichtig. Es gibt hier aber auch Gefahren. Der Internist Matthias Müller vom Hamburger Elim Krankenhaus berichtete aus seiner Erfahrung: "Zahlreiche Krankenhauseinweisungen wären vermeidbar, wenn nicht viele PatientInnen die Vorstellung hätten, möglichst viel Flüssigkeit im Laufe des Tages aufnehmen zu müssen." Da heißt es dann gelegentlich: "Aber mein Doktor hat doch gesagt, ich soll viel trinken." An der internistischen Station der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf (UKE) wurden diese Beobachtungen bestätigt.

Risikogruppe: PatientInnen mit Herzschwäche

Insbesondere handelt es sich bei diesen Fällen um PatientInnen mit einer Herzschwäche. Und die machen statistisch gesehen gegenwärtig den größten Teil der Herz-Kreislauf-bedingten Aufnahmen einer allgemein-internistischen Abteilung aus.

Anlass für die Einweisungen infolge überhöhter Flüssigkeitsaufnahme sind vor allem Atemnotstände. Bei Herzschwäche-PatientInnen kommt es wegen verringerter Pumpfunktion des Herzens und reduzierten Herzvolumens zu einer Abnahme der Nierendurchblutung und damit zu einer Abnahme der notwendigen Flüssigkeitsausscheidung.

Der Prozess mündet in eine Überwässerung des Körpers. Sie kann nach ärztlichen Erfahrungen besonders durch Wassereinlagerungen in der Lunge zu lebensbedrohlichen Zuständen in Form des Lungenödems führen.

Gelegentlich, wenn auch seltener, anzutreffen sind in der internistischen Aufnahmestation PatientInnen mit einer eingeschränkten Nierenfunktion. Gerade dieser Gruppe aber wird besonders eine Steigerung ihrer täglichen Trinkmenge therapeutisch empfohlen. Das "Hamburger Ärzteblatt" setzte sich kürzlich mit der verbreiteten Praxis kritisch auseinander und bilanzierte: "Aus nephrologischer Sicht sollte PatientInnen mit eingeschränkter Nierenfunktion zukünftig nicht mehr empfohlen werden, ihre tägliche Flüssigkeitsaufnahme über das durch das natürliche Durstgefühl gesteuerte Trinkbedürfnis zu steigern."

Empfohlen sind 1,5 Liter Flüssigkeit am Tag

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE, Bonn) empfiehlt, normalerweise 1,5 Liter am Tag zu trinken. Der Körper gibt täglich etwa 2,5 Liter Wasser über Schweiß, Atemluft und Harn ab. Diese Verluste müssen ausgeglichen werden. Eine kleine Menge Flüssigkeit produziert der Körper selbst (ca. 300 Milliliter). Knapp ein Liter wird mit der Nahrung aufgenommen. Die meisten Gemüse- und Obstsorten bestehen zu über 90 Prozent aus Wasser. Selbst vermeintlich "trockene" Lebensmittel wie Brot enthalten zu etwa 40 Prozent Wasser.

Nach Referenzwerten der DGE sollten Erwachsene insgesamt 35 Milliliter Wasser pro Kilo Körpergewicht aufnehmen, Menschen ab 65 Jahre 30 Milliliter, also etwas weniger. Da allerdings im Alter das Durstempfinden nachzulassen pflegt, sollte dann besonders auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden, vor allem bei kranken Menschen.

In der Praxis scheint es indessen große Abweichungen von jenen Normen zu geben - abgesehen von "Lifestyle"-Bekundungen meist wegen falscher oder missverstandener Empfehlungen. Mancher glaubt, er müsse täglich drei bis vier Litter trinken. Jedenfalls ist es für gesunde Menschen nicht schädlich, auch so viel zu trinken. Ihre Nieren sind sehr leistungsfähig.

Mehr nur bei körperlicher, schweißtreibender Belastung

Mehr als 1,5 Liter zu trinken, ist nur bei außergewöhnlichen körperlichen und schweißtreibenden Belastungen nötig. Auch Magen-Darm-Kranke müssen mehr trinken, um ihren hohen Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Ferner macht die DGE auf etwas Grundsätzliches aufmerksam: Je weniger man isst, desto mehr sollte man trinken.

Unklarheit besteht auch oft bei der Frage, was getrunken werden sollte. So dürfen nach manchen Vorstellungen Kaffee, Tee, Milch, Fruchtsäfte, Coca-Cola, Bier und Wein nicht "mitgezählt" werden. Die DGE stellt klar: Auch sie tragen zur Flüssigkeitszufuhr bei, zählen also rein rechnerisch in den getrunkenen Mengen mit - auch wenn sie unter sonstigen Aspekten unterschiedlich zu bewerten sind, etwa wegen des Gehalts an Coffein, Theobromin, Zucker, Kalorien oder Alkohol.

Problemlos und am billigsten ist immer noch das Leitungswasser.