"Hat diesen Wahnsinn eigentlich jemand durchdacht?" Die Empörung war den Hörern des Dienstagseminars im Wiener IBM-Haus deutlich anzumerken. Thema des Workshops war das neue Umsatzsteuer-Abrechnungssystem in der Bauwirt-schaft, genannt Reverse Charge. Ein "Senior Tax Manager" und eine Ministerialbeamtin bemühten sich tapfer, ein Rechtsgebiet zu erklären, das ihnen selbst noch weitgehend fremd ist.
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Seit Monatsbeginn geht die Umsatzsteuer in der Bauwirtschaft verkehrt herum. Unternehmer, die Bauleistungen vergeben oder Baufirmen untereinander dürfen von ihren Professionisten ab sofort nur mehr "Netto-Rechnungen" entgegennehmen, also solche ohne Umsatzsteuerzuschlag, müssen diese Umsatzsteuer dann selbst berechnen und schulden den Steuerbetrag ihrem Finanzamt. Gleichzeitig können sie diese Steuer unternehmerisch als Vorsteuer wieder rückverrechnen, wodurch die ganze Rechnerei zum Nullsummenspiel wird.
Rechnungen ohne USt
An einem Beispiel: Der Generalunternehmer A (der von einem Kunden mit der Gesamt-errichtung eines Hauses beauftragt ist), vergibt den Bauauftrag an den Baumeister B. Dieser baut und legt dem GU namens A eine Schlussrechnung über das Bauwerk. B fakturiert an A netto, also ohne Umsatzsteuer. A berechnet aus diesem Netto die 20% USt und schuldet diese Steuer seinem Finanzamt. Das heißt: er tut nur so. Denn gleichzeitig holt er sich die Steuer als Vorsteuer wieder zurück. Per Saldo kriegt die Finanz also gar nichts.
Fairer Weise muss man erklären, warum der Fiskus diesen Zirkus verfügt hat (dem die EU nur widerwillig zustimmte). Während sich nämlich viele Auftraggeber rechtzeitig über ihre Vorsteuer gefreut haben, konnte die Finanz die entsprechende USt bei vielen Baufirmen nicht einholen: Die "Strolche" waren untergetaucht, noch ehe die Steuerexekutoren fündig wurden. Das schmerzte Karl-Heinz Grasser zutiefst.
Generalisten und Baufirmen
Das obige Beispiel spiegelt freilich nur den Idealfall wieder. In der Praxis beginnen die Schwierigkeiten nämlich schon bei der Umschreibung der vom neuen System betroffenen Unternehmer: solche, "die mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt sind", und solche, die ihrerseits "üblicherweise Bauleistungen erbringen". Praktisch gemeint sind Generalunternehmer, die Bauleistungen vergeben und andere Unternehmer, die solche Leistungen erbringen (auch dann, wenn es aus herkömmlicher Sicht eigentlich keine echten Bauleistungen sind). Wesentlich ist, dass stets nur Bauleistungen (oder ähnliche Arbeiten) "umgekehrt" besteuert werden, nicht aber bloße Materiallieferungen.
Ist schon die Definition der Bauleistungen ein Riesenproblem, so ist es der Terminus "üblicherweise" erst recht. Heißt es "überwiegend" oder "vorwiegend"? Kommt es auf die Gewerbeberechtigung an oder einfach darauf, was man tatsächlich am meisten tut? Löst man USt-Fragen neuerdings mit dem Duden?
Katalog der Bauleistungen
Die Finanz hat in einem soeben veröffentlichten Erlass einfach die Systematik der Wirtschaftstätigkeiten von der Statistik Austria abgeschrieben, das maßgebliche Kapitel F 45 ein bisschen fiskalisch zurecht gerichtet, aber gleich auch wieder eingeschränkt: Was dort an Arbeitsleistungen angeführt ist, gilt als Bauleistungen, aber es gibt auch noch andere Kriterien und darum ist die Liste doch nicht der Weisheit letztes Ende.
Ein Beispiel besonderer Kryptik ist die Arbeit der Bauträger. Sie sind wahrscheinlich keine Bauleister, außer sie arbeiten für fremde Rechnung oder sind auch gleichzeitig Baumeister, dann gehören sie ins Reverse Charge. Im Ministerium will man das noch einmal durchdenken, schließlich haben sich die Bauträger selbst noch nicht erkundigt.
Hausverwalter, die für ihre Hausbesitzer-Kunden tätig werden, können nur dann in die RevCh-Bredouille kommen, wenn sie selbst als Generalunternehmer tätig werden; ansonsten entkommen sie dem neuen System. Von Wohnbauvereinigungen nimmt man an, dass sie üblicherweise keine Bauleistungen erbringen.
Schwierige Abgrenzungen
Das neue System kann auch Schwierigkeiten bei der Abgrenzung des Leistungsumfangs bringen. Das im USt-Recht heilige Prinzip der Einheitlichkeit der Leistung kann durchbrochen werden. Die Finanz selbst gibt ein Beispiel: Ein Unternehmer liefert 50 Fenster, 45 stellt er bloß am Bauplatz ab, fünf montiert er auch noch. Nur die letztere ist eine Bauleistung, weshalb sich hierfür eine Separatfaktura als sinnvoll anbietet.
Krasser wird die Situation bei der Lieferung von Großanlagen, die mit dem Erdboden fest verbunden und mit zusätzlichen Rohrleitungen und Installationen versehen werden. Liegen zwischen der Lieferung der Anlagen und der späteren (gesonderten) Installation einige Wochen, dann sind es zwei Abwicklungen: eine bloße Lieferung und eine sonstige (Bau-)Leistung. Wird der Gesamtauftrag in einem abgewickelt, ist er insgesamt eine einheitliche Bauleistung: Der Lieferant braucht nur eine Netto-Rechnung zu legen. Wer sich da nicht auskennt, der "trägt eben ein Unternehmerrisiko", sagt die Vortragende: ein Haftungsrisiko gegenüber der Finanz.
Private Bauleistungen
Geradezu kasuistisch wird es, wenn ein Unternehmer an einen anderen nicht bloß betriebliche, sondern auch "private" Bauleistungen erbringt. Beispiel: Fliesenleger verfliest das private Badezimmer eines Installateurs. Beide gehören dem ehrenwerten (steuerlichen) Stand der Bauleister an, weil beide "üblicherweise Bauleistungen" erbringen. Also legt der Verflieser dem Installateur für die (private) Verfliesung eine Nettorechnung und der Installateur rechnet die bezügliche USt mit dem Finanzamt ab; allerdings hat er diesfalls (weil privat) keinen Vorsteuerabzug.
Gesonderte Aufzeichnungen
Das für alle seit 1. Oktober 2002 erbrachten Bauleistungen geltende neue USt-Umkehr-System kann bei den in der Bauwirtschaft häufigen Teilrechnungen (Abschlagsrechnungen) deshalb zu Problemen führen, weil die Akontozahlungen nach dem September-Ultimo nur mehr netto (also ohne USt) sein dürfen. Daher müssen Abschlagsrechnungen, die zwar vor dem 1. Oktober datieren, aber erst danach ausbezahlt werden, hinsichtlich des USt-Zuschlages wieder berichtigt werden. Das kann auch zu Schwierigkeiten bei der richtigen Verbuchung führen, denn das neue USt-System muss in der Finanzbuchhaltung auf gesonderten Konten erfasst werden. Ein Thema für ein weiteres Eintagesseminar.
"Das ganze System ist viel zu schnell über uns hereingebrochen", sagt die Ministerialbeamtin treuherzig. "Die noch offenen Fragen übertreffen unsere Vorstellungen".