)
Wie die Wirtschafts- und Währungsunion aussehen müsste, um auf lange Sicht Bestand zu haben.
| Kommissionskreise: Eurorettung darf nicht mehr länger ein "Eliteprojekt" sein.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Brüssel. Europa arbeitet mit Hochdruck daran, seine wackeligen Fundamente zu erneuern. Wie könnte das Haus Euro/Europa im Endausbau aussehen? Es müsste wohl eine gemeinsame Schuldenhaftung ("Eurobonds"), eine zumindest "minimalistische Fiskalunion" mit einer eigenen EU-Steuer und einen europäischen Finanzminister umfassen, heißt es in Kommissionskreisen.
All das ist weder leicht noch rasch umsetzbar; vieles würde langwierige Änderungen der EU-Verträge erfordern. Wenn es "ans Eingemachte" gehe, steige die Bereitschaft, nationale Dogmen aufzugeben, heißt es dazu in Brüssel. Dennoch sind die Hürden wohl nur im Laufe von Jahren überwindbar. In der Akutphase bleibe deshalb die Europäische Zentralbank als Krisenfeuerwehr unverzichtbar, wird eingeräumt.
Als "großer Wurf" würde es schon gelten, wenn sich die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel Ende Juni auf eine Vision eines stärker integrierten Europa und eine "Roadmap" zur Umsetzung einigen. In Brüssel ist man überzeugt, dass dieses Bekenntnis zu Euro und Europa auf den Märkten vertrauensbildend wirken würde. Wie aber kommt man so weit?
Weg zu Bankenunion ist weit
Schon einfache Maßnahmen stoßen auf unüberwindliche Hürden: Es würde Spanien helfen, wenn der neue Euro-Rettungsschirm ESM direkte Kapitalspritzen an marode Banken vergeben könnte. Deutschland will aber, dass die Frage der Haftung klar ist - derzeit ist sie das, weil die Hilfen den Umweg über den Staat nehmen müssten. Das wäre jedoch mit Auflagen verbunden - deshalb wehrt sich die Regierung in Madrid so massiv dagegen. Ein legistisches Hindernis ist die Nichtbeistands-Klausel, also das Verbot einer Haftung für Schulden anderer Staaten. Diese ist zwar ohnehin bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt, sei aber immer noch geltendes Recht.
Dieses Detailproblem lässt erkennen, wie weit der Weg zu einer "Bankenunion" noch ist, in der es eine zentrale Einlagensicherung und Bankenaufsicht sowie einen Fonds für die Abwicklung von Pleitebanken geben müsste. Was (wieder einmal) am britischen Veto zu scheitern droht.
Noch heikler ist der Weg zur gemeinsamen Kreditaufnahme der Staaten und wechselseitigen Haftung für Schulden ("Eurobonds"). Ideen für Zwischenschritte gibt es: Über "Projektbonds" für Infrastrukturvorhaben herrscht Einigkeit. Diese sind aber ein Tropfen auf dem heißen Stein, was die Probleme der Europeripherie betrifft. Die Kapitalaufstockung der Europäischen Investitionsbank um 10 Milliarden Euro wäre der logische zweite Schritt, stößt aber auf Widerstand der Briten. Als dritte Stufe werden in Brüssel "Eurobills" diskutiert - de facto Staatsanleihen mit kurzen Laufzeiten von ein bis zwei Jahren. Auch hier sei die verfassungsrechtliche Prüfung heikel. Am Ende stünden dann die "Stabilitätsbonds" (Kommissions-Sprech für Eurobonds) mit längeren Laufzeiten.
Wenn Europas Steuerzahler für die Schulden aller Länder haften, setzt das jedoch einen Europäischen Finanzminister voraus. Dieser muss den Staaten zumindest die Limits der Kreditaufnahme diktieren können. Werden damit nicht die nationalen Parlamente ihrer Kernkompetenz, der Budgethoheit, beraubt? "Nicht zwingend", heißt es in Brüssel. Weggenommen werde nur die Verschuldungsmöglichkeit; den Parlamenten bleibe die Hoheit über die Struktur der Einnahmen und Ausgaben. Ob der deutsche Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe das ebenso sieht, ist mehr als fraglich.
Die Spaltung der EU droht
Dreh- und Angelpunkt für all diese Überlegungen ist übrigens der Fiskalpakt. Dass dieser als "Würgeschnur" und Spardiktat diskutiert werde, gehe am Kern vorbei: "Ohne ihn sind keine weiteren Integrationsschritte möglich", heißt es aus der Kommission. Mit dem Fiskalpakt beschließen die nationalen Parlamente autonom eine Selbstverpflichtung zur Budgetdisziplin - das dürfe kein Diktat aus Brüssel sein.
An der Steuerunion scheiden sich die Geister. Unstrittig sei, dass es ein Schuldeninstrument brauche, das teilweise über eine europäische Steuerhoheit gedeckt sein solle. Wie eine "minimalistische Fiskalunion" aussehen könnte, wird intensiv debattiert: Man müsse nicht gleich an einen Bundesstaat denken, wo 20 Prozent der Steuern zentral eingehoben werden; geringere Deckungsbeiträge könnten reichen. Woher die EU-Steuermittel kommen, ob aus einer Finanztransaktionssteuer, CO2-Steuer, Kerosinabgabe oder Ähnlichem, sei letztlich sekundär.
Höchste Priorität hat hingegen die Frage, was mit jenen passiert, die nicht überall mitziehen. Das geht über die Balance zwischen den EU-27 und den Eurostaaten hinaus - schon beim Fiskalpakt sind Briten und Tschechen nicht dabei. Auch wenn es nach Art der Zwiebel eine Avantgarde mit weiteren Schalen gebe, bleibe das Hauptvehikel der Binnenmarkt: Dieser dürfe durch unterschiedliche Geschwindigkeiten der Integration nicht gefährdet werden.
Was man in der Kommission sehr klar sieht: All diese Integrationsschritte sind "extrem riskant", weil sie die Zentrifugalkräfte stärken und EU-Kritiker auf den Plan rufen. Deshalb brauche es eine demokratische Legitimation - der Ausbau Europas dürfe "kein Elitenprojekt" sein: "Der Punkt ist erreicht, wo wir nicht sagen können, wir lassen uns was Gescheites einfallen und beschließen das beim nächsten Gipfel."
Der Nutzen für schwache Euro-Länder liegt auf der Hand. Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Finnland müsse hingegen klar sein, dass die Mehrkosten durch die Integration kleiner wären als eine permanente Unterstützung der Defizitländer nach heutigem Muster. Ganz zu schweigen von den Kosten, wenn Europa ins Chaos stürzt.