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Viele EU-Staaten sparen am falschen Ende

Von Erhard Fürst

Gastkommentare
Erhard Fürst war Leiter der Abteilung Industrie- und Wirtschaftspolitik in der Industriellenvereinigung.

Angela Merkel hat ihr Konzept für Reformverträge skizziert - wenig überraschend hält sich die Begeisterung in der restlichen EU in Grenzen.


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Beim vergangenen Europäischen Rat stellte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ihr Konzept für Reformverträge vor. Dabei geht es vereinfacht darum, dass sich EU-Länder in einem Vertrag mit der Europäischen Kommission zu Strukturreformen (etwa Arbeitsmarktflexibilisierung, Sanierung des Pensionssystems, Steigerung der Leistungsfähigkeit des Forschungs- und Innovationssystems) verpflichten. Solche Reformen sind heute schon Teil der wirtschaftspolitischen Koordinierung auf europäischer Ebene; nun sollen finanzielle Anreize die Länder motivieren, sich dazu vertraglich zu verpflichten.

Dass sich die Begeisterung vieler Staats- und Regierungschefs in Grenzen hielt, ist nicht überraschend, bedeuten solche Reformverträge doch die - wenngleich grundsätzlich freiwillige - Abgabe nationaler Kompetenzen an Brüssel.

Das in Verruf geratene Wort des deutschen Dichters Emanuel Geibel aus dem Jahr 1861 "Am deutschen Wesen mag die Welt genesen" wurde wieder einmal strapaziert. In dem Maße, in dem die Krise unter Kontrolle scheint und sich die Konjunkturaussichten aufhellen, verflüchtigt sich der Reformwille rapide. Daher blieb auch Österreich, dessen Regierung sich ja bekanntlich schon mit der Selbstverpflichtung zu Strukturreformen schwer tut, auf Distanz.

Dabei sind Strukturreformen, verbunden mit der Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Anreize für wachstumsstärkende private und öffentliche Investitionen, der Königsweg, um die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Länder und der Europäischen Union insgesamt wiederherzustellen.

Der viel gescholtene Austeritätskurs zum Abbau exzessiver Budgetdefizite hat auch deshalb so tiefe Spuren in Form schrumpfender Produktion und steigender Arbeitslosigkeit hinterlassen, weil die Länder Strukturreformen verweigert und vielfach am falschen Ende gespart haben, nämlich bei den Zukunftsausgaben, wie einer intelligenten Infrastruktur oder Forschung und Innovation, und nicht bei innenpolitisch sensiblen Subventionen oder Verwaltungskosten. Die von der deutschen Bundeskanzlerin vorgeschlagenen Reformverträge hätten in diesem Zusammenhang einen weiteren Vorteil: nämlich jenen, nationalen Lobbys die Hintertreibung von Strukturreformprojekten zu erschweren.

Reformverträge würden endlich die Eigenverantwortung der Staaten mit Solidarität durch die Gemeinschaft verknüpfen und so bei den Bürgern mehr Verständnis für die Notwendigkeit verstärkter wirtschaftlicher und politischer Integration schaffen. Ein Netz von glaubwürdigen, weil verpflichtenden Strukturreformpaketen könnte nachhaltig Vertrauen auf den internationalen Finanzmärkten schaffen und wäre somit ein stabilisierendes Element für die mittelfristige Konjunkturentwicklung. Auch wenn es - bei einer so schwierigen und heiklen Materie nicht überraschend - vorerst beim ersten Anlauf geblieben ist, können wir getrost erwarten, dass sich Merkel letztlich durchsetzen wird. Österreich täte aus Eigeninteresse gut daran, Flagge zu zeigen und das Projekt zu unterstützen.