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Viele Köche legitimieren den Brei

Von Christian Rois

Gastkommentare
Christian Rois ist systemischer Politikberater sowie Mitbegründer und Eigentümer der Organisationsberatung Edelweiss-Consulting.
© © Copyright Christina Haeusler

Die Bürger werden zum Mitreden aufgefordert. Gefährlich ist, wenn dieses Instrument ohne sinnvolle Begleitmaßnahmen eingesetzt wird.


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Eine Tageszeitung ruft ihre Leser auf, Verbesserungsvorschläge für Österreichs Politik zu formulieren, die Bundesregierung ruft das Wahlvolk auf, über die Zukunft der Landesverteidigung zu bestimmen. Die Legitimitätskrise der Politik und die mittlerweile auf ungewohntes Niveau angestiegene Distanz zwischen Bürgern und Politik bringt die Politik hin zu bürgernahen Beteiligungsformaten, die dazu beitragen sollen, Politik erlebbar und gestaltbar für die Bevölkerung zu machen. Wenn etwa die Stadt Wien eine Charta des Zusammenlebens erarbeitet und der öffentliche Dienst in einen "Reformdialog" tritt. Partizipationsinstrumente erleben gerade einen Hype in Österreich. OpenSpace und World-Cafés statt Expertenreferaten und Frontalberieselung scheint der Trend.

Vorbilder der Großgruppenformate sind amerikanische "Town Hall Meetings". Anders als die Schweizer urdemokratischen "Landgemeinden" sind "Town Hall Meetings" Dialog-Angebote ohne Entscheidungskraft. Die Politik ist von den neuen Formaten begeistert. Gefährlich ist, wenn dieses Instrument ohne sinnvolle Begleitmaßnahmen eingesetzt wird. Es muss garantiert sein, dass mit den Ergebnissen einer Großgruppenintervention sinnvoll weitergearbeitet wird. Eine Großgruppenveranstaltung durchzuführen und gleichzeitig ein fertig geschriebenes Konzept in der Schublade zu haben, ist unredlich und führt zu langfristiger Demotivation der Teilnehmenden. Die häufigsten Fehler sind mangelndes Prozessverständnis und Verzicht auf Struktur. Wichtig ist, keine Erwartungen zu wecken, die dann nicht gehalten werden.

Ich denke dabei an die Perspektivengruppen von Josef Pröll. Obwohl die Idee gut gemeint und teilweise auch gut umgesetzt wurde, ging viel Energie verloren. Zwar gab es zehn Subgruppen, die sogenannten Impulsgruppen, für den Perspektivenprozess, diese hatten aber keine Vorgaben, wie sie die Inhalte erarbeiten sollten. Dementsprechend divers wurden die einzelnen gesellschaftspolitischen Themen bearbeitet. Während die eine Impulsgruppe lediglich Expertenrunden veranstaltete und ein Expertenpapier produzierte, wurde in anderen Gruppen unter Beteiligung von Funktionären gearbeitet, wieder andere Gruppen arbeiteten mit öffentlichen Aktionen und produzierten auf dieser Art und Weise sehr unterschiedliche Ergebnisse.

Großgruppen sind nur als Teilschritt wirksam. Bei einer Großgruppenveranstaltung kann ein Ergebnis kaum prognostiziert werden, daher müssen sich die Veranstalter damit auseinandersetzen, dass die eingeladenen Teilnehmer eine gänzlich andere Meinung haben können als sie selbst.

In Zahlen ausgedrückt könnte man sagen, dass etwa 70 Prozent der Ergebnisse, die erarbeitet werden, mit der bisherigen Linie sehr übereinstimmen. Die restlichen 30 Prozent teilen sich auf in 15 Prozent Genialität und 15 Prozent Wahnsinn. 15 Prozent der neuen Ideen bringen frische Impulse, die man auch verfolgen kann - vorausgesetzt, dass eine entsprechende strukturelle Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung vorhanden sind.