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"Viele Menschen hier sterben schnell"

Von Thierry Durand

Gastkommentare

Im Bürgerkriegsland Jemen führt Covid-19 zu dramatischen Situation.


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Ein Auto fuhr auf unser Covid-19-Behandlungszentrum in Aden zu. Darin befand sich ein etwa 60 Jahre alter Mann, der hustete und nach Luft rang. Es gelang ihm, sich selbst in einen Rollstuhl zu hieven. Dann brachte ihn das Team auf die Intensivstation, um ihn mit Sauerstoff zu versorgen. Vier Stunden später war er tot.

So schnell und brutal ist Covid-19 in Aden, einer Stadt im Bürgerkriegsland Jemen, die sich fest im Griff des Virus befindet. Wir hatten schon viele solcher Fälle. Viele Menschen sterben schnell. Sie kommen bereits in einem ernsten Zustand an, und es ist zu spät. Die Menschen verstehen nicht, warum sie so schnell sterben. Vom 30. April bis zum 24. Mai hat das Behandlungszentrum 228 Patienten aufgenommen, von denen 99 starben. Wir als Gesundheitspersonal fühlen uns machtlos. Wir können nicht viel mehr tun, als den Menschen Sauerstoff zu geben. Es gab Tage, an denen wir 13 Todesfälle hatten.

Es fehlt an so gut wie allem

Das Behandlungszentrum hat eine Sterberate, die so hoch ist wie jene in den Intensivstationen in Europa und den USA. Aber in Aden handelt es sich nicht um ein gut ausgestattetes Krankenhaus, das von einem Netzwerk anderer Krankenhäuser unterstützt wird. Wir haben hier einen Teil eines alten onkologischen Krankenhauses am Rande einer Stadt renoviert, deren Gesundheitssystem nach fünf Jahren Krieg zusammengebrochen ist und deren Bewohner häufig unter Stromausfällen leiden. Das Behandlungszentrum ist bis jetzt die einzige Einrichtung, die sich der Behandlung von Covid-19 verschrieben hat.

Wir müssen Schutzanzüge mehrmals verwenden, weil wir nicht genug haben. Der Zugang zu Tests ist unglaublich eingeschränkt. Wir haben nicht genug Beatmungsgeräte und würden mehr Sauerstoffkonzentratoren und verlässlichen Nachschub von Material benötigen.

Der Innenhof unseres Behandlungszentrums ist voll mit Sauerstoffflaschen. 250 werden pro Tag für die Patientinnen und Patienten benötigt, damit diese weiter atmen können. Der Körper eines Corona-Patienten hat nicht genügend Sauerstoff, und die Behandlung besteht darin, ihm mehr Sauerstoff zu geben. Es klingt einfach, aber die Patientinnen und Patienten benötigen ein sehr, sehr hohes Sauerstoffniveau. Schwerkranke Patientinnen und Patienten benötigen eine enorme Menge an Sauerstoff pro Minute. Dies stellt eine massive Herausforderung für die Versorgung unseres Behandlungszentrums in Aden dar. Wenn es schon in Aden, das in Bezug auf die Verfügbarkeit von Ressourcen, Material und Personal zumindest ein gewisses Niveau hat, so ist, kann man sich die anderen Orte im Jemen vorstellen.

Im nächsten Moment sind sie tot

Wir machen regelmäßig Visiten, um das Sauerstoffniveau der Patientinnen und Patienten zu überprüfen. Manchmal sehen die Patienten in einem Moment gut aus, dann geht man etwas später noch einmal zur Visite - und sie sind tot! Andere schnappen ständig nach Luft - das sind diejenigen, die schnell sterben. Sie werden müde und hören auf zu atmen.

Eine so hohe Anzahl an Todesfällen führt auch zu Problemen im Umgang mit den Leichen. Wir haben keine Leichenhalle im Behandlungszentrum. Es gibt einen Imam, der die Leichen abholt und zu den Familien zurückbringt, aber es gibt nicht genug Menschen, die sich dann um die Leichen kümmern können. Drohnenaufnahmen, die von Journalisten in der Stadt gemacht wurden, zeigen reihenweise frisch gegrabene Gräber. Laut Angaben der Behörden ist die Zahl der täglichen Bestattungen in der Stadt in den letzten Wochen von einem vor dem Ausbruch normalen Wert von zehn auf 80, teilweise 90, gestiegen.

Das Gesundheitspersonal leidet. Wir leiden, weil wir die Menschen nicht retten können, weil es so viele Tote gibt. Unser Team arbeitet jedoch ununterbrochen daran, alles für die Patientinnen und Patienten zu tun. Sie arbeiten daran, so schnell wie möglich Nachschub zu organisieren, sich um eine bessere Sauerstoffversorgung zu kümmern, und die Kapazitäten des Zentrums auf 72 Betten zu erweitern. Das jemenitische Gesundheitssystem benötigt jedoch dringend mehr Hilfe von den Vereinten Nationen und anderen Geberstaaten, wenn es in der Lage sein soll, auf Covid-19 zu reagieren und einen weiteren Zusammenbruch zu vermeiden. Das Problem ist zu groß, um es allein zu lösen.